Sichtbarkeit von trans Menschen "Die Politik muss Haltung zeigen"
Die Angriffe auf trans Menschen in Deutschland nehmen zu. In den Medien werden sie noch immer nicht ohne Stereotype dargestellt, sagt die Bundestagsabgeordnete Tessa Ganserer im Interview mit tagesschau.de.
tagesschau.de: Seit 2009 findet jedes Jahr am 31. März der Internationale Tag der Sichtbarkeit von trans Menschen statt. Sie stehen als Bundestagsabgeordnete besonders in der Öffentlichkeit. Wie erleben Sie das Klima für trans Menschen in Deutschland?
Tessa Ganserer: Es geht hier nicht um mich, sondern es geht darum, dass wir an den Statistiken sehen, dass wir seit einigen Jahren eine deutliche Zunahme von transfeindlicher Gewalt in Deutschland zu verzeichnen haben. Und es gibt eine ganze Reihe von Studien, die deutlich machen, dass transgeschlechtliche Menschen noch in allen Lebensbereichen massiv von Diskriminierung betroffen sind.
Tessa Ganserer sitzt seit 2021 für die Grünen im Bundestag. Von 2013 bis 2021 war sie Abgeordnete im Bayerischen Landtag. Sie ist gelernte Forstwirtin, Ökologie ist einer ihrer politischen Schwerpunkte.
Seit ihrem Coming-Out als trans Frau Ende 2018 im Bayerischen Landtag setzt sie sich für die Rechte queerer Menschen ein. Die Abschaffung des Blutspendeverbots für Männer, die Sex mit Männern haben, das Verbot geschlechtsnormierender Operationen an intergeschlechtlichen Kindern, die medizinische Versorgung von trans Personen, queere Schwangerschaften und das Selbstbestimmungsgesetz gehören zu ihren zentralen Arbeitsfeldern.
tagesschau.de: Wie erklären Sie sich diesen Anstieg der Diskriminierung und der Anfeindungen?
Ganserer: Wir erleben momentan eine Gleichzeitigkeit. In den letzten Jahren hat die Sichtbarkeit von transgeschlechtlichen Menschen deutlich zugenommen, auch eine erhöhte Sichtbarkeit in den Medien. Sehr häufig ist die Darstellung immer noch sehr stereotyp. Es wird viel zu wenig über die wirklichen Probleme und die Diskriminierung von transgeschlechtlichen Menschen berichtet.
Und diese Sichtbarkeit macht uns natürlich auch angreifbar. Wir beobachten gleichzeitig in den letzten Jahren deutliche Zunahme von transfeindlichen Narrativen und von Hate Speech in den sozialen Medien. So wie es aussieht, schlägt das auch immer wieder in das reale Leben über. Und deswegen müssen wir transfeindliche Hasskommentare auch in den sozialen Medien ganz entschieden sanktionieren.
"An diesem Gesetz kleben Blut und Tränen"
tagesschau.de: Die Ampelkoalition plant ein Selbstbestimmungsgesetz. Nach Medienberichten geht es unter anderem darum, dass man den Vornamen und auch den Geschlechtseintrag, zum Beispiel im Pass, leichter verändern kann. Bisher sind dafür zwei psychologische Gutachten notwendig. Wie schätzen Sie dieses Gesetzesvorhaben ein?
Ganserer: Vorab ist festzuhalten, dass das bisherige sogenannte Transsexuellengesetz aus den 1980er-Jahren für so viel Leid gesorgt hat. An diesem Gesetz kleben Blut und Tränen. Und es wurde mittlerweile in sechs Einzelurteilen vom Bundesverfassungsgericht für in Teilen grundgesetzwidrig erklärt. Das letzte Urteil ist aus dem Jahr 2011.
Bis dahin wurden transgeschlechtliche Menschen zwangssterilisiert und mussten sich einer geschlechtsangleichenden Operation unterziehen, damit sie ihren amtlichen Personenstand ändern konnten. Das ist seitdem nicht mehr anwendbar, weil es einen grundgesetzwidrigen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit darstellt. Geblieben ist die Zwangsbegutachtung, die Psychopathologisierung.
Es ist so überfällig, dass wir in Deutschland jetzt endlich nachholen, was viele EU-Mitgliedstaaten in den letzten Jahren bereits umgesetzt haben. Auch der Europarat fordert seit 2015, dass die Mitgliedstaaten diese Zwangsbegutachtungen abschaffen.
tagesschau.de: Was braucht es aus Ihrer Sicht denn noch für politische Änderungen, damit es für trans Menschen in Deutschland einfacher wird?
Ganserer: Wir haben auf jeden Fall auch noch eine völlig unzureichende medizinische Versorgung. Im Gesundheitsbereich haben wir strukturelle Diskriminierungen. Transgeschlechtlichen Menschen wird der Zugang zu medizinisch notwendigen Maßnahmen erschwert bis unmöglich gemacht. Deswegen wollen wir hier auch den Rechtsanspruch von transgeschlechtlichen Menschen im Gesundheitssystem verbessern und den Rechtsanspruch auf medizinische Maßnahmen im Sozialgesetzbuch verankern.
"Menschen mit Anstand und Respekt begegnen"
tagesschau.de: Welche gesellschaftlichen Veränderungen wünschen Sie sich für die Zukunft?
Ganserer: Wir können und müssen als Politik die Diskriminierungen und die Benachteiligungen im Recht abschaffen. Wir können aber auch mit noch so schönen Debatten im Bundestag Ablehnung, Vorurteile und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit nicht allein aus der Welt schaffen. Dafür ist die Gesellschaft insgesamt verantwortlich, dass wir anderen Menschen mit Anstand und Respekt begegnen. Dass wir uns alle für ein gutes gesellschaftliches und diskriminierungsfreies Miteinander einsetzen.
Die Politik muss natürlich Haltung zeigen und mit gutem Vorbild vorangehen. Mit dem Aktionsplan für Akzeptanz und Vielfalt werden wir Akzeptanz fördernde Maßnahmen in der Gesellschaft deutlich unterstützen. Und dort, wo fehlende Akzeptanz in Benachteiligungen, in Ausgrenzung oder sogar in Hassgewalt umschlägt, müssen wir uns als Rechtsstaat, als Gesellschaft schützen.
tagesschau.de: Und wenn Sie noch mal etwas weiter in die Zukunft blicken, was wünschen Sie sich dann für zukünftige Generationen?
Ganserer: Ich würde mir eine zukünftige Gesellschaft wünschen, in der keine transgeschlechtliche Person mehr Angst vor dem Coming Out haben muss. In der sie stolz ist und weiß, dass sie richtig so ist, wie sie ist, und auch akzeptiert wird. Dass kein Mensch wegen gruppenbezogenen Merkmalen, wegen seiner Transgeschlechtlichkeit in dieser Gesellschaft Häme, Spott, Ausgrenzung oder sogar Gewalt erleben muss.
Das Interview führte Belinda Grasnick für tagesschau24. Es wurde für die schriftliche Version angepasst.