Staatenlose in Deutschland Ohne Heimat
Keine Staatsangehörigkeit, weniger Rechte: Knapp 30.000 offiziell anerkannte Staatenlose leben in Deutschland. 97.000 weitere Menschen haben keine geklärte Staatsangehörigkeit. Mith Rahman ist einer von ihnen.
"Die deutschen Behörden machen mich wirklich sehr krank", sagt Mith Rahman, 36 Jahre alt, seit elf Jahren in Deutschland. Rahman ist 2012 aus Bangladesch ohne Papiere nach Deutschland eingereist. Er gehört nach eigenen Angaben der Minderheit der Rohingya an. Das muslimische Volk wird seit Jahrzehnten in Myanmar verfolgt. Die Staatsangehörigkeit wird ihnen meistens verweigert, sie sind also staatenlos.
Rahmans Lage und die bürokratischen Schwierigkeiten haben ihn psychisch so mitgenommen, dass er nicht mehr richtig schlafen oder arbeiten kann. Er lebte eine Zeit lang in Niedersachsen, inzwischen arbeitet er als Kellner in Hamburg. Jetzt möchte er seine Verlobte in Bangladesch heiraten. Doch das sei ohne Staatsangehörigkeit schwierig, erzählt er. Und auch die Einbürgerung in Deutschland gestalte sich schwer.
An einem Sonntagmorgen sitzt Rahman in einem Hamburger Café und legt mehrere Dokumente auf den Tisch. Dann zeigt er auf dem Handy eine E-Mail der Ausländerbehörde. Dort steht, dass die Identitätsnachweise, die er eingereicht hat, für eine Einbürgerung nicht ausreichen. "Ich möchte Deutsch werden", sagt Rahman. "Wenn ich einen deutschen Pass habe, dann werden viele Sachen leichter. Ich möchte einen guten Job haben, wählen gehen. Meine Verlobte nach Deutschland bringen und heiraten. Ich bin schon lange hier allein."
Das Amt für Migration in Hamburg schreibt auf Nachfrage, dass für eine Einbürgerung die Identität und Nationalität des Betroffenen zwingend geklärt werden müssen. Da Staatenlose meistens keine offiziellen Ausweise besitzen, gilt hier ein mehrstufiges Modell. Dabei sind verschiedene Urkunden aufgelistet, die als Nachweis dienen. Sind sie alle nicht zu beschaffen, werden die Aussagen des Bewerbers bewertet. Dies könne aber zu einer längeren Dauer des Verfahrens führen.
Höchststand an Staatenlosen
Rahman ist nur einer von Tausenden Menschen in Deutschland, die keine Staatsbürgerschaft besitzen. Knapp 30.000 galten 2022 als offiziell anerkannte Staatenlose - ein Höchststand. Seit 2014 hat sich ihre Zahl verdoppelt. Bei weiteren 97.000 Menschen ist die Staatsangehörigkeit ungeklärt.
Die Ursachen sind vielfältig. Oft fehlen Dokumente aus den Heimatländern, beispielsweise, wenn die Geburt gar nicht registriert wurde. Auch patriarchale Gesetze spielen eine Rolle: In einigen Ländern dürfen Frauen ihre Staatsbürgerschaft nicht oder nur unter besonderen Umständen vererben. Erkennt der Vater das Kind nicht an oder ist er selbst staatenlos, hat dieses keine Staatsangehörigkeit.
Nicht alle Staatenlosen sind nach Deutschland eingereist. Fast 5000 sind in der Bundesrepublik zur Welt gekommen. Damit ein Kind ausländischer Eltern die deutsche Staatsbürgerschaft bei Geburt bekommt, muss ein Elternteil seit mindestens acht Jahren in Deutschland leben und eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis haben.
Politische Konflikte spielen ebenfalls eine Rolle. Teilweise besitzen die Migranten Dokumente von Ländern, die nicht anerkannt sind, oder gehören Minderheiten an, die in ihrem Heimatland selbst staatenlos sind - wie die Rohingya.
Menschen mit ungeklärter Staatsangehörigkeit oder ohne Angaben zur Staatsbürgerschaft sind Menschen, deren Identität, Herkunft oder Staatenlosigkeit nicht eindeutig geprüft werden konnten.
Ein Kind, das seit der Geburt staatenlos ist, hat einen Anspruch auf Einbürgerung, wenn es in Deutschland geboren ist, seit fünf Jahren seinen rechtmäßigen, dauernden Aufenthalt in Deutschland hat und den Antrag stellt, bevor es 21 Jahre alt wird. Es sei denn, es ist zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens fünf Jahren verurteilt worden.
Am Rande der Gesellschaft
"Auch wenn sie eine Aufenthaltserlaubnis oder einen Schutz hier in Deutschland kriegen, werden Menschen ohne Staatsangehörigkeit vielerlei Einschränkungen im Leben haben", sagt Karim Alwasiti vom Flüchtlingsrat Niedersachsen. Sie riskieren, ihren Kindern die Staatenlosigkeit zu vererben. Die Einbürgerung ist in der Praxis teilweise kompliziert, weil oft Dokumente fehlen. Ehe und Familiennachzug sind nicht selbstverständlich, die Verfahren können länger dauern. Eine Verbeamtung ist in der Regel ausgeschlossen. Sie dürfen bei Bundestagswahlen nicht wählen und so am politischen Leben teilnehmen. "Diese Menschen bleiben am Rande der Gesellschaft", so Alwasiti.
Die Gründe sind rechtlicher Natur: Für viele Verfahren, etwa eine Einbürgerung oder eine Heirat, muss die Identität geklärt werden. Für die Einbürgerung soll zudem ausgeschlossen sein, dass die Person doch eine weitere Staatsangehörigkeit hat. Im Fall der Eheschließung hingegen, dass sie nicht bereits in einem anderen Land verheiratet ist. "Deutschland hat mit die höchsten Anforderungen bei der Eheschließung", sagt der Bremer Anwalt Albert Timmer.
Reisen ist ebenfalls eingeschränkt. Nicht alle Staaten erkennen die Ausweise für Staatenlose, Ausländer oder Geflüchtete an. Und ein Ausweis für Staatenlose sei nicht leicht zu bekommen. "Man muss nachweisen, wo man geboren wurde, wie die Abstammung ist, man muss versuchen, Dokumente aus dem Heimatland zu beschaffen. Das ist die Schwierigkeit", so Timmer.
Besonders schwer haben es laut dem auf Migration spezialisierten Anwalt Jan Süring Menschen, die nach eigenen Angaben aus einem Staat kommen, dies aber nicht beweisen können, weil ihnen die Dokumente fehlen. Meistens sind das Menschen aus "gescheiterten Staaten wie Afghanistan, Somalia, Libyen". Sie haben dann eine ungeklärte Staatsangehörigkeit.
BMI: Klärung der Identität wichtig
Laut Bundesinnenministerium dient die Klärung der Identität der Betroffenen "gewichtigen sicherheitsrechtlichen Belangen der Bundesrepublik Deutschland". Der Reiseausweis für Staatenlose gelte als Passersatz, den Länder, die das Staatenlosenübereinkommen unterschrieben haben, grundsätzlich anerkennen müssen.
Gleichzeitig bestätigt das Ministerium, dass die Nachweisanforderungen bei standesamtlichen Verfahren, etwa Eheschließungen oder Geburtsurkunden, teilweise höher sein können. Beweise über etwa Abstammung oder Familienstand können nötig sein. "Fehlende Gewissheit über die Identität einer Person fällt in einem derartigen Verfahren daher in besonderer Weise ins Gewicht."
Anwalt: Problem wird sich verschärfen
Eine Lösung könnten laut Flüchtlingsrat-Mitarbeiter Alwasiti eidesstattliche Erklärungen sein, wenn Dokumente aus den Heimatländern nicht zu kriegen sind. "Wenn die Menschen falsche Angaben machen, dann machen sie sich strafbar", sagt er.
Das Bundesinnenministerium verweist dabei auf das Stufenmodell. Dies berücksichtigt demnach sowohl die Interessen des Staates als auch die Interessen der Betroffenen und stelle sicher, dass "den Betroffenen eine realistische Chance verbleibt, ihre Identität und Staatsangehörigkeit nachzuweisen". In diesem Rahmen brauche man keine eidesstattliche Versicherung.
Für Anwalt Sürig könnte es notwendig sein, alternative Verfahren zu schaffen, um die Identität der Menschen zu überprüfen. Denn das könnte "in den nächsten Jahrzehnten noch ein größeres Problem werden", da Geflüchtete aus sogenannten gescheiterten Staaten weiterhin nach Deutschland kommen werden.
Rahman wünscht sich hingegen nur, dass er ein ganz normales Leben führen kann.