Exil-Russen wählen in Deutschland Warteschlangen, Proteste und Nawalnaja
Russische Bürger können in Berlin und Bonn ihre Stimmen für die Präsidentenwahl abgeben. Heute bildeten sich lange Schlangen vor der Botschaft und dem Generalkonsulat - auch zwei prominente Putin-Gegner reihten sich ein.
Bei der russischen Präsidentenwahl haben auch im Generalkonsulat in Bonn und bei der Russischen Botschaft in Berlin zahlreiche Russinnen und Russen ihre Stimme abgegeben. Die Polizei schätzte die Zahl der Wartenden in Bonn in einer mehrere Hundert Meter langen Schlange am frühen Nachmittag auf rund 1.000.
Aufgrund des hohen Fahrzeugaufkommens komme es auf den Straßen rund um das Generalkonsulat zu erheblichen Verkehrsbeeinträchtigungen und temporären Sperrungen, schrieb die Polizei auf der Plattform X. Seit 8.00 Uhr und noch bis 20.00 Uhr können in Deutschland lebende Russen noch ihre Stimme abgeben.
In der Nähe des Generalkonsulats in Bonn begannen am Sonntagmittag zwei Kundgebungen. An einer Demo unter dem Motto "Mittags gegen Putin" nahmen laut Polizei rund 150 Menschen teil. Bei einer prorussischen Kundgebung zählte die Polizei 15 bis 20 Teilnehmer.
Nawalnaja wartet vor der Botschaft in Berlin
ARD-Korrespondent Demian von Osten berichtet vom Wahllokal in der russischen Botschaft in Berlin. Menschen in der langen Schlange hielten Plakate mit Aufschriften wie "Russland ohne Putin" in die Luft. Es seien auch prominente russische Oppositionelle vor Ort - etwa die Witwe des Kremlkritikers Alexej Nawalny, Julia Nawalnaja. Auch der russische Oppositionelle Michail Chodorkowski habe in der Schlange gestanden.
Nawalnaja wurde mit Beifall und Blumen empfangen. Nawalnaja hatte zu einer Protestaktion am letzten Wahltag aufgerufen, bei der Putin-Kritiker mittags in Massen zu den Wahllokalen kommen sollen.
Hunderte Menschen demonstrierten nahe der Botschaft gegen Putin. In Sprechchören forderten sie in russischer und deutscher Sprache ein Russland ohne Putin. Die Polizei schätzte die Zahl der Teilnehmer nach Angaben einer Sprecherin auf rund 800.
"Kontrollmaßnahmen" angekündigt
Das russische Generalkonsulat in Bonn hatte verstärkte Kontrollmaßnahmen am Wahllokal angekündigt, um die Sicherheit der Wählerinnen und Wähler und der Mitglieder der Wahlkommission zu gewährleisten. Kremlgegner rufen dazu auf, das Ergebnis der Präsidentenwahl nicht anzuerkennen, weil demokratische Standards nicht eingehalten würden.
Unabhängige Beobachter weisen auf Betrug und Manipulation hin. Ernstzunehmende russische Oppositionelle sind entweder nicht zur Abstimmung zugelassen, ins Ausland geflohen oder sitzen im Straflager. Echte Gegenkandidaten hat Putin bei der Wahl deshalb nicht.
Der in Russland zwischen dem 15. und 17. März umgesetzte Prozess einer Präsidentenwahl, bei dem Wladimir Putin eine fünfte Amtszeit erreicht hat, entspricht nicht demokratischen Maßstäben. Die neben Putin zugelassenen drei Kandidaten Nikolai Charitonow (Kommunistische Partei), Leonid Sluzki (rechtpopulistische LDPR) und Wladislaw Dawankow (Vize-Vorsitzender der Duma, Kandidat der wirtschaftsliberalen "Neue Leute") zählen zur Systemopposition, echte Gegner des Kremls und des Angriffskriegs auf die Ukraine waren nicht als Kandidaten zugelassen.
Abgestimmt wurde auch in den besetzten Gebieten der Ukraine - unter fragwürdigen Umständen.
Einen eigentlichen Wahlkampf hatte es im Vorfeld kaum gegeben, wohl aber Berichte unabhängiger Journalisten über Druck auf Beamte und Beschäftigte staatlicher Betriebe, sich zur Abstimmung registrieren zu lassen und mindestens zehn Personen mitzubringen.
Für unabhängige Wahlbeobachter gab es hohe Hürden, etwa wurde die Organisation "Golos" mehrfach als "Ausländischer Agent" gebrandmarkt und aufgelöst. Aus dem Ausland angekündigt waren vor allem Vertreter aus Staaten, die starke Sympathien für die russische Führung hegen wie Serbien beziehungsweise selbst autokratisch bis diktatorisch regiert werden (Venezuela, Myanmar, Kamerun). Aus Deutschland wollten drei Abgeordnete der AfD als "Experten für Demokratie" einreisen.
Bei früheren Wahlen hatte es in Russland stets Meldungen und Beweisvideos von Manipulationen an den Wahlurnen, Mehrfachabstimmungen oder Anreizen wie üppigen Buffets der Regierungspartei "Einiges Russland" in Wahllokalen gegeben. Proteste wurden von Sicherheitskräften in kürzester Zeit unterbunden und zogen meist eine Strafverfolgung nach sich.
Jasper Steinlein, tagesschau.de