Rassismus in der Polizei Alles nur Einzelfälle?
Extremistische Netzwerke in der Polizei, Hakenkreuze in Chatgruppen und Beamte als AfD-Abgeordnete seien nur die Spitze des Eisbergs, sagen Kritiker. Nun gibt es offenbar eine neue Dimension.
Abdel blickt auf ein Foto, das ihn strahlend in Uniform zeigt. Polizist, sein Traumberuf. "Ich dachte, in der Polizei-Familie könnte ich meinen Beitrag zur Gesellschaft leisten, dazugehören."
Abdel, dessen vollständiger Name nicht genannt werden soll, ist Mitte 20, und seit drei Jahren bei der Polizei Berlin. Sein Großvater ist in den 1960er-Jahren aus Marokko nach Deutschland eingewandert. Abdel wächst unter schwierigen Bedingungen auf und wird schon in der Schule mit rassistischen Kommentaren konfrontiert. Doch er beißt sich durch, macht sein Abitur, absolviert das Studium an der Polizei-Hochschule.
"Ich habe meinen Dienst mit Liebe verrichtet", sagt er mit unterdrückter Wut. "Aber ich ertrage den Rassismus nicht mehr. Ich lasse mir meine Würde nicht nehmen."
Rassismus unter Kollegen
Abdel spricht in der ARD-Story "Die Polizei und der Rassismus: Alles nur Einzelfälle?" als erster Beamter offen über ein Tabuthema: Rassismus unter Polizisten. Immer wieder, so sagt er, sei er in seiner Hundertschaft wegen seiner marokkanischen Wurzeln diskriminiert worden. "Da fragt mich der Kollege: Ey Abdel, warst du eigentlich bei der Kölner Silvesternacht dabei? Und die Gruppenführerin lacht: Hahahaha, der Grabscher!"
Anspielungen auf die berüchtigte Silvesternacht auf der Kölner Domplatte, in der nordafrikanische Einwanderer Übergriffe auf Frauen begangen haben. "Und ich denke mir: Wo bin ich hier gelandet? Ich habe so lange gearbeitet, ich habe studiert und dachte, ich bin in der Polizeifamilie angekommen. Und bekomme so etwas zu hören."
Kein Einzelfall
Nach SWR-Recherchen gibt es deutschlandweit mehrere Polizistinnen und Polizisten, die wegen ihres sogenannten Migrationshintergrunds von Kollegen diskriminiert werden. Nur darüber zu sprechen traut sich keiner.
Von Rassismus unter Kollegen bei der Polizei hört man eher selten. Dafür sorgen extremistische Netzwerke, Hakenkreuze in Chatgruppen und "Racial Profiling", also Personenkontrollen nur aufgrund der Hautfarbe, immer wieder für negative Schlagzeilen.
Vorwurf des Generalverdachts
Wie groß das Rassismusproblem in der Polizei ist, lässt sich schwer sagen, weil es dazu keine verlässlichen Zahlen gibt. Bislang sträuben sich die meisten Innenminister und -ministerinnen gegen unabhängige Forschung. Bestärkt werden sie darin von Lobbyisten wie Rainer Wendt von der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG): "All diese sogenannten Polizeiforscher können unabhängig und neutral in der Polizei überhaupt nichts mehr untersuchen. Die haben alle überhaupt keine Kompetenz dazu."
Hinter der Polemik steht bei den Gewerkschaften die Annahme, dass Forschung zu Rassismus in der Polizei einem Generalverdacht gleichkäme. So geht das seit Jahren. Aber sehen das auch Beamtinnen und Beamten so?
"Mehrheit unterstützt Forschungsvorhaben"
Nach SWR-Recherchen sind viele Polizisten genervt von der Blockadehaltung der reichweitenstarken Gewerkschaftsvertreter. Besonders jüngere Polizisten würden beklagen, dass sie im Einsatz von der "Gegenseite" oft unter Generalverdacht gestellt würden - nach dem Motto: Alle Polizisten sind Rassisten.
Das bestätigt nun in ungewohnter Offenheit ein Ausbilder der Landespolizei-Hochschule Baden-Württemberg. "Das betrifft aber nicht nur die jungen Polizistinnen und Polizisten, sondern durchaus auch die älteren. Die Mehrheit, so ist es zumindest mein Empfinden, unterstützt solche Forschungsvorhaben", sagt Michael Leidenheimer, der an den fünf Stützpunkten der Landespolizei-Hochschule täglich mit Polizisten zu tun hat. "Die meisten hätten ein Interesse daran, einfach auch mal eine wissenschaftlich fundierte Faktenlage zu haben, weil die ganz klar wissen: Wenn die Ergebnisse da sind, ist sicherlich nicht alles rosarot. Wir wüssten dann aber wenigstens ganz genau, an welchem Problem wir arbeiten müssen."
Einschätzung bleibt bisher vage
Doch weil in der Öffentlichkeit solch differenzierte Stimmen bislang kaum vorkommen, bleibt bei der Einschätzung und Behebung des Rassismus-Problems vieles vage. Auch wegen fehlender Fehlerkultur.
So hat es Polizist Abdel in Berlin erlebt: Nachdem er die rassistischen Kommentare von Kollegen einer Vorgesetzten gemeldet hat, habe diese nicht wie erhofft reagiert. "Sie meinte: Eigentlich müsste ich das melden, Rassismus ist ein sensibles Thema. Doch sie hat es nicht gemacht."
Die Polizei Berlin verweist auf ARD-Anfrage auf zwei Strafermittlungsverfahren gegen zwei von Abdels Kollegen. Doch die Staatsanwaltschaft hat die Verfahren eingestellt, wegen angeblich widersprüchlicher Zeugenaussagen. Gegen Abdels Vorgesetzte, die die Vorfälle nach Abdels Darstellung vertuschen wollte, wurde nicht ermittelt.
Die ARD-Story "Die Polizei und der Rassismus - Alles nur Einzelfälle?" sehen Sie heute Abend um 22:50 Uhr in der ARD oder in der ARD-Mediathek.