Krieg, Klimawandel, Pandemie Was Krisen mit jungen Menschen machen
Der Klimawandel, der Angriffskrieg gegen die Ukraine und die Corona-Pandemie - all das zusammen führt zu hoher psychischer Belastung bei jungen Menschen. Sensibel für Krisen zu sein, bietet allerdings auch Chancen.
In einer digitalen Welt erwachsen zu werden, heißt nicht nur, den Eltern beim Umgang mit Technik helfen zu müssen. Es führt auch dazu, Katastrophen dieser Welt im Sekundentakt auf dem Smartphone mitzuerleben.
"Wir leben in einem reichen Land mit vielen Möglichkeiten. Viele Krisen kommen nicht so nah an einen ran, wie man manchmal meint. Aber alles, was passiert, können wir in Echtzeit sehen. Es ist eine Flut, die auf einen zukommt, mit der viele überfordert sind", sagt Konstantin Knorr. Der 17-Jährige engagiert sich im Jugendrat der Generationen Stiftung. Er legt bewusst Pausen ein von der erschlagenden Nachrichtenflut. Viele junge Menschen hätten angefangen, alles auszublenden, vermutet er.
Wie sich Krisen auf die eigene mentale Gesundheit auswirken, haben viele während der Pandemie erfahren. Der Befragung "Jugend in Deutschland" zufolge ist die psychische Belastung der 14- bis 29-Jährigen in den vergangenen Jahren gestiegen. "Die jungen Leute haben vor allem während der Corona-Pandemie, die immer noch lauert, das Gefühl, einen Kontrollverlust erlitten zu haben", sagt der Berliner Bildungsforscher Klaus Hurrelmann im Gespräch mit tagesschau.de.
Psychische Belastung gestiegen
Fast die Hälfte der Befragten gab bei der letzten Erhebung im März an, unter Stress zu leiden. Ein Drittel klagte über Antriebslosigkeit, Erschöpfung, Hilflosigkeit und depressive Verstimmungen. Die große Belastung sei für die junge Generation in dieser Form ungewöhnlich, so Hurrelmann.
Nach einer Studie der Universität Leipzig hat sich die Wartezeit für einen Therapieplatz für Kinder und Jugendliche in der Pandemie von drei auf sechs Monate verlängert. In ländlichen Gebieten liegt die Wartezeit sogar bei über einem Jahr. Eine Erhebung der Krankenkasse DAK zeigt, dass 2021 - verglichen mit 2020 - insgesamt 42 Prozent mehr Jugendliche zwischen 12 und 18 Jahren wegen emotionaler Störungen, darunter Depression und Angststörungen, in Kliniken eingewiesen wurden.
Wie es ist, während all der Krisen aufzuwachsen, beschreibt Charlotte Schmiedel mit drei Worten: "frustrierend, deprimierend und hilflos". Wenn sich junge Menschen engagieren, dann geschehe das nicht als Hobby, sondern aus wirklicher Not, sagt die 18-Jährige. Seit der sechsten Klasse setzt sie sich in der Bildungspolitik ein, vertritt jetzt als Vorsitzende der "Schüler:innenkammer Hamburg" die Interessen von Schülerinnen und Schülern in der Hansestadt.
Sie kritisiert, dass es zu wenig Unterstützung gibt, zu wenig Raum für Kompetenzerwerb, um mit den Krisen und den mentalen Folgen umzugehen. Stattdessen gebe es neue Bildungspläne mit noch mehr Lernstoff.
Mit Stress umzugehen, kann erlernt werden
Was sich junge Menschen oft wünschen, ist soziale und psychische Unterstützung. Neben der Versorgung in Krankenhäusern, bräuchte es vor allem mehr Prävention, wie durch Jugendzentren und Schulpsychologen, findet Christoph Correll, Klinikdirektor der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Berliner Charité. Er leitet eine internationale Befragung zu Risiko- und Schutzfaktoren während der Covid-Pandemie.
Was nach ersten Ergebnissen auffällt: Als eine der wichtigsten Bewältigungsstrategien gaben Jugendliche und Erwachsene Bewegung, also physische Aktivität an. Sport ist aber nicht das Einzige, was in Stresssituationen helfen kann.
Wie jemand mit diesen Krisen umgeht, ist individuell. Die Resilienz - also psychische Widerstandsfähigkeit - unterscheidet sich stark, aber sie kann trainiert werden. "Dass Kinder schon in einem frühen Alter lernen, gut mit Stress und schwierigen Situationen umzugehen, kann präventiv wirken", sagt die Resilienzforscherin Isabella Helmreich vom Leibniz-Institut für Resilienzforschung in Mainz. Das könne schon in der Kita passieren.
"Mentale Probleme destigmatisieren"
Jede Krise biete auch die Möglichkeit, diese zu bewältigen und sich danach stärker zu fühlen, sagt Psychiater Correll und ergänzt: "Wir sind alle vulnerabel und man darf darüber reden, dass es einem schlecht geht, man nicht so gut in der Schule zurechtkommt und es einem schwer fällt, sich zu strukturieren."
Sich in Krisensituationen professionelle Hilfe zu holen, gehört laut Correll genauso zur Psychohygiene, wie in der Natur zu spazieren, zu meditieren oder Musik zu hören. "Die Pandemie hat auch die Chance in sich, dass wir mentale Probleme destigmatisieren können, weil es eben alle ein Stück betrifft", sagt er.
Wirtschaftslage entscheidend für Krisenempfinden
Die psychische Belastung ist jetzt sichtbar. Die Einschränkungen - wie Schulschließungen, Kontaktbeschränkungen oder der Wegfall von Freizeitangeboten - haben besonders diejenigen getroffen, die bereits vor der Pandemie sozial benachteiligt waren. "Das hat einen starken Akzent von sozialer Ungleichheit", so Hurrelmann.
Das Risiko, den Anschluss an die Gesellschaft zu verlieren, sei bei einem Viertel der 14- bis 29-Jährigen gegeben, schätzt der Bildungsexperte. Darunter fielen vor allem diejenigen mit niedrigem Bildungsstand und ökonomisch schlecht aufgestellten Elternhäusern, was stark zusammenhänge.
Chancen auf Ausbildung und Beruf seien entscheidend, um gut durch diese Krisen zu kommen. Dafür müsse investiert werden. Die schlimmste Krise, die junge Menschen treffen könne, sei immer eine Wirtschaftskrise, so Hurrelmann. Durch die gute Wirtschaftslage - auch bedingt dadurch, dass junge Leute so dringend auf dem Arbeitsmarkt gesucht werden - werde die heutige Krisenkonstellation zum Teil abgefangen.
Sensibilität kann eine Stärke sein
Nach der Befragung "Jugend in Deutschland" ist die Grundstimmung junger Menschen trotz der psychischen Belastungen positiv. Und sensibel für Krisen zu sein, muss nicht nur schlecht sein. Zwar sei bei jungen Frauen das Gefühl von Erschöpfung, Hilflosigkeit und psychischer Belastung stärker, zugleich seien sie aber diejenigen, die aktiver seien, sagt Hurrelmann. Das sei bei der Klimakrise deutlich geworden. "Wir haben es selten erlebt, dass dieser Aktivismus - also auf eine Krise konstruktiv zu reagieren durch eigenes Handeln - so stark von jungen Frauen ausgeht." Das sei in dieser Form historisch neu.
Vor allem geht es den engagierten jungen Menschen darum, mit ihren Vorschlägen in der Politik ernst genommen zu werden. "Ein ganz entscheidender Punkt ist, nicht zu Lasten kommender Generationen zu handeln", sagt der 17-Jährige Konstantin Knorr aus dem Jugendrat der Generationen Stiftung.
Auch Charlotte Schmiedel wünscht sich mehr Verantwortung seitens der Politik. Schließlich seien junge Menschen wie sie diejenigen, die mit den Konsequenzen der handelnden älteren Generationen leben müssten.