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Nach Fahrt in Menschenmenge Wer ist der Attentäter von München?

Stand: 15.02.2025 14:14 Uhr

Inzwischen gehen die Behörden bei der Amokfahrt von Farhad N. in München von einer religiös motivierten Tat aus. Gespräche mit Familie und Bekannten werfen Fragen auf, wie es so weit kommen konnte.

Von Bamdad Esmaili und Katharina Köll, WDR

In der Nähe von München lebt Lida M. in einem Zimmer mit ihrem Mann und zwei Kindern. Sie trägt ein grün-weiß gestreiftes Kopftuch lose um ihren Kopf geworfen. Noch immer ist sie fassungslos: darüber, dass ihr Neffe Farhad N. vorsätzlich in eine Menschenmenge gefahren sein soll.

Sie beteuert, dass er unschuldig sei, zeigt Fotos, die den jungen Bodybuilder bei Wettkämpfen zeigen. Die Afghanin will nicht glauben, dass ihr Neffe diese schreckliche Tat begangen hat. "Er war aktiv, sportlich, gesund, niemals ein Problem", beschreibt sie Farhad N. Sie spricht von einem Unfall.

Als 15-Jähriger nach Deutschland gekommen

Gemeinsam traten sie, ihre Familie und der damals minderjährige Farhad im Jahr 2016 die Flucht aus Afghanistan über den Iran nach Europa an. An der türkisch-iranischen Grenze wurden seine Tante und ihre Familie festgenommen, erst Jahre später schafften sie es nach Deutschland. Farhad N. war zu diesem Zeitpunkt 15 Jahre alt und schlug sich weiter über Italien allein als unbegleiteter Minderjähriger nach Deutschland durch.

Er hätte sich oft bei seiner Mutter, die mit seinen Schwestern in Kabul lebt, gemeldet, erzählt Lida M. Er habe sie, die er seit seiner Flucht nicht mehr gesehen hatte, finanziell unterstützt. Denn sein Vater starb, als Farhad elf Jahre alt war. Er sei ermordet worden, so die Tante.

Farhad sei ein gutes Kind gewesen, sagt seine Mutter in einem Videotelefonat, bei dem auch eine seiner Schwestern dabei ist. "Er war sportlich, gar nicht politisch." Beide sind aufgelöst und verzweifelt.

Lida M. und Bamdad Esmaili

"Er war aktiv, sportlich, gesund, niemals ein Problem" - so beschreibt Lida M. ihren Neffen Farhad N..

Widersprüchliche Meldungen

Laut der Familie deutete nichts darauf hin, was die Amokfahrt des 24-jährigen Afghanen erklären kann. Nachdem Farhad N. in der Münchner Innenstadt mit seinem weißem Mini gezielt in eine Demonstration der Gewerkschaft ver.di fährt, gehen die Behörden schnell von einem Anschlag aus; danach kursieren widersprüchliche Meldungen über den Täter, unter anderem heißt es, er sei ausreisepflichtig.

Am Donnerstagabend rudern die Behörden zurück, der in München wohnende Farhad N. halte sich legal in Deutschland auf. Sein Asylantrag wurde zwar beim Verwaltungsgericht 2020 abgelehnt, doch konnte er in Deutschland bleiben und 2021, nach der Machtübernahme der Taliban, erhielt er eine Aufenthaltserlaubnis. Denn Deutschland setzte aufgrund dessen Abschiebungen nach Afghanistan aus.

Farhad N. arbeitete zum Tatzeitpunkt als Ladendetektiv und für Sicherheitsfirmen. Das hatte er auch seiner Familie in Afghanistan erzählt, die stolz darauf war, was der Sohn in Deutschland erreicht habe. Seine Mutter betont im Gespräch, er sei "gut integriert" gewesen.

Ein Leben zwischen Religion und Fitness

Farhad N. hatte diverse Profile in sozialen Netzwerken, die am Abend nach der Tat in München plötzlich nicht mehr abrufbar waren. Dort zeigte sich der 24-Jährige als aktiver Sportler, der sogar an bayerischen Bodybuilding-Meisterschaften teilnahm und mehrmals ausgezeichnet wurde.

Regelmäßig postete er Videos seines Trainings, präsentierte seinen muskulösen Körper oder posierte vor Autos. In einem TikTok-Video vom vergangenen Dezember sagte Farhad N., dass er "glücklich und dankbar sei" und riet seinen Followern, dass man durch Fleiß vieles erreichen könnte.

Beten zwischen Wettkämpfen

Ein Blick in seine Social-Media Aktivitäten auf Instagram zeigt noch eine weitere Facette des sunnitischen Muslims. Er scheint tief religiös zu sein, folgt einigen islamischen Predigern, Motivations- und Koranseiten. Nichts Ungewöhnliches für einen Gläubigen.

Er folgt aber auch dem Prediger Mavlavi Ahmadi Firuz, der seine Anhänger streng dazu auffordert, ein frommes Leben zu führen. Afghanische Journalisten bezeichnen den Prediger als bekannten "radikalen Geistlichen" aus Nordafghanistan, der eine "extremistische Auslegung" vertrete.

Ein Bekannter, der mit Farhad N. zusammen an Wettkämpfen teilnahm, beschreibt gegenüber WDRforyou seinen Trainingspartner als "freundlichen, netten Kerl", der nach außen "sehr religiös" gewirkt habe. Zwischen Wettkämpfen habe er gebetet und auch oft von seinem muslimischen Glauben gesprochen. Frauen habe er eher "gemieden". Der Freund beschreibt ihn am Ende als "radikal".

"Womöglich ein islamistisches Motiv"

Die Behörden gehen inzwischen von einem möglichen islamistischen Hintergrund aus. So verkündete die leitende Oberstaatsanwältin Gabriele Tilmann auf einer Pressekonferenz, dass es Hinweise darauf gebe, dass Farhad N. aus einem "religiösen Motiv" heraus gehandelt habe. Bei seiner Festnahme soll er laut Polizisten "Allahu-Akbar" gerufen haben. Farhad N. habe bereits gestanden, bewusst in die Menge gefahren zu sein.

Noch seien sie am Anfang der Ermittlungen, so Tilmann, eine Eingliederung in terroristische Gruppierungen, wie dem IS, lasse sich zu dem Zeitpunkt nicht feststellen. Auch gebe es keine Anhaltspunkte für psychische Probleme. Es soll jedoch eine Art "Abschiedsnachricht" verschickt worden sein.

Familie geht von Unschuld aus

Von dieser Abschiedsnachricht will seine Familie nichts wissen. Während des Telefonats bricht seine Mutter mehrmals in Tränen aus. Immer wieder nennt seine Mutter ihn einen Helden. Sie leitete WDRforyou eine Sprachnachricht weiter, die Farhad ihr am Morgen der Tat geschickt haben soll: "Einen guten Morgen, meine liebste Mutter. Ich habe dich sehr lieb, du Liebe meines Herzens. Ich wünsche, dass du immer bei mir bist."

Mutter von Farhad N. spricht über Facetime mit WDRforyou-Reporter

Für die Mutter von Farhad N. ist es unvorstellbar, dass ihr Sohn ein religiöser Extremist sein könnte.

Auch dass er sich radikalisiert haben könnte und aus religiösen Beweggründen gehandelt habe, will die Familie nicht glauben. Nur weil man bete, sei man doch nicht radikal, meint seine Mutter. Sie halten den Anschlag für einen Unfall. Etwas anderes, da ist sich die Familie sicher, passe nicht zu Farhad. Sie fordern von der Bundesregierung Aufklärung. Würde man sein Leben und seinen Hintergrund untersuchen, so die Mutter, würde klar werden, dass er unschuldig sei.

Wie weit Farhad N. radikalisiert war und wie es dazu gekommen ist, lässt sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht sagen. Sein Social Media-Profil zeigt einen augenscheinlich gut integrierten, sportlichen und unauffälligen jungen Mann. Ob die Bilder im Netz mit seinem tatsächlichen Leben korrespondieren, ist eher fraglich. Denn offenbar ist er bereit gewesen, durch die Fahrt in den Demonstrationszug viele Menschen zu töten.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 15. Februar 2025 um 12:00 Uhr.