Antisemitismus in Deutschland Hassparolen, verbrannte Israelflaggen, Anschläge
Nach dem versuchten Brandanschlag auf eine jüdische Gemeinde in Berlin ermittelt die Generalstaatsanwaltschaft. Es ist kein Einzelfall. Seit dem Angriff der Hamas auf Israel wurden mehr als 200 antisemitische Fälle in Deutschland registriert.
Hamas-Terroristen fielen in Israel ein, töteten etwa 1300 Menschen und entführten etwa 200 weitere. Israel schlägt derzeit mit Luftangriffen gegen die Hamas im Gazastreifen zurück und bereitet wohl eine Bodenoffensive vor. Der Konflikt ist weit weg, trotzdem ist er längst auch in Deutschland angekommen.
Insgesamt 202 antisemitische Fälle hat der Bundesverband der Recherche und Informationsstellen Antisemitismus (Rias) in den zehn Tagen seit dem blutigen Überfall der Terrormiliz Hamas auf Israel bundesweit registriert. 240 Prozent mehr als zur gleichen Zeit ein Jahr zuvor.
Der versuchte Brandanschlag
Der jüngste Fall: Ein versuchter Brandanschlag auf eine Synagoge in Berlin. Nach Angaben der Polizei warfen zwei vermummte Unbekannte in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch Brandsätze in Richtung der Synagoge. Sie trafen das Gebäude jedoch nicht. In dem Gebäude ist neben einer Synagoge eine jüdische Kita untergebracht.
Nach Angaben von Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD) verhinderte die Anwesenheit der Polizei, dass die Täter nahe genug an das Gebäude an der Brunnenstraße herangekommen seien, um ihr Ziel tatsächlich zu treffen. Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat die Ermittlungen mittlerweile an sich gezogen. Begründet wird das unter anderem mit dem "eskalierenden Charakter" des Angriffs. Ermittelt werde gegen noch unbekannte Personen wegen versuchter schwerer Brandstiftung.
Brennende Kerzen stehen vor Schildern mit der Aufschrift "Stop Antisemitismus" an dem abgesperrten Bürgersteig vor dem jüdischen Gemeindezentrum an der Brunnenstraße nach dem versuchten Brandanschlag in der Nacht zum Mittwoch auf die Synagoge in der Berliner Brunnenstraße.
Davidsterne an Häuser geschmiert
Ebenfalls in Berlin beschmierten Unbekannte in der vergangenen Woche die Eingangstür eines Mehrfamilienhauses in Prenzlauer Berg mit einem Davidstern. Der Staatsschutz habe die Ermittlungen übernommen, hieß es von der Polizei. Eine Anwohnerin hatte die Schmiererei dokumentiert, dann der Polizei gemeldet und anschließend unkenntlich gemacht. Die Polizei geht bei dem Vorfall von einer politisch motivierten Tat aus. Das Netzwerk Rias registrierte zehn solcher Vorfälle in Berlin und Nordrhein-Westfalen.
"Das weckt gerade in Deutschland schlimmste Erinnerungen und ist unerträglich", schrieb die israelische Botschaft auf der Plattform X. Während des Nationalsozialismus wurden Gebäude mit dem Davidstern markiert, um jüdische Bewohner kenntlich zu machen. Die Polizei machte keine Angaben dazu, ob in dem nun von der Schmiererei betroffenen Mehrfamilienhaus Juden leben oder nicht.
Israel-Flaggen abgerissen
In mehreren deutschen Städten rissen Unbekannte in den vergangenen Tagen Israel-Fahnen von den Masten. Etwa im nordrhein-westfälischen Leverkusen wurden zwei Mal Flaggen vom Fahnenmast am Rathaus abgerissen. In einem Fall wurde die Israel-Flagge anschließend mit Brandspuren gefunden. Auch aus Karlsruhe, Stuttgart, Schwerin, Stade, Mainz, Aachen und mehreren weiteren Städten wurden ähnliche Vorfälle gemeldet. Das Netzwerk Rias berichtete von 33 Fällen dieser Art.
Antisemitische Sprüche
Der Bundesverband der Recherche und Informationsstellen Antisemitismus berichtet auch von antisemitischen Slogans und Schriftzügen. So sei etwa über dem Eingang einer Dortmunder Kneipe ein Banner aufgehängt worden: "Israel ist unser Unglück", war dort zu lesen. "Die Abwandlung der Parole 'Die Juden sind unser Unglück' aus der nationalsozialistischen Zeitung 'Der Stürmer' war Wahlkampfspruch der rechtsextremen Partei Die Rechte", schreibt Rias. Und in Bremen sei ein Graffiti entdeckt worden. "Für jeden Zionisten 1 Kugel", stand dort, und: "Free Gaza".
Auf Demonstrationen war zudem die Parole "From the River to the Sea, Palestine will be free" zu hören. Der Satz propagiere die Auslöschung Israels und solle im aktuellen Kontext den Terrorangriff und die Massaker der Hamas legitimieren, schreibt Rias.
Wie sieht die Reaktion aus?
Die Ansagen der Politik bis hin zu Bundeskanzler Olaf Scholz sind eindeutig. "Es ist ganz klar, dass wir nicht hinnehmen werden und niemals hinnehmen werden, wenn gegen jüdische Einrichtungen Anschläge verübt werden", sagte Scholz. Auch gewalttätige, mit antisemitischen Parolen begleitete Veranstaltungen seien nicht zu akzeptieren. "Da müssen die Versammlungsbehörden das ihre tun, zum Schutz der jüdischen Einrichtungen die Polizei."
Gerade in Berlin, aber auch in anderen Städten fährt die Polizei genau diese Linie. Der Schutz an jüdischen und israelischen Institutionen wurde hochgefahren. In Berlin wurden fast alle angezeigten pro-palästinensischen Demonstrationen verboten mit dem Hinweis, es seien anti-israelische, antisemitische oder extremistische Parolen zu erwarten. An neuralgischen Punkten, etwa an der Sonnenallee in Neukölln, schritt die Polizei immer wieder ein, wenn sich pro-palästinensische Grüppchen bildeten. Dennoch lief die Lage in der Hauptstadt in den vergangenen Tagen immer wieder aus dem Ruder.
Juden fühlen sich unsicher
Die Jüdische Gemeinde zu Berlin zog nach dem versuchten Brandanschlag gegen die Synagoge ein bitteres Fazit. Die Sicherheitsmaßnahmen hätten wohl Schlimmeres verhindert: "Aber Juden und Jüdinnen in unserer Stadt fühlen sich trotz allem nicht mehr sicher." Und die Geschäftsführerin der Gemeinde, Anna Segal, sagte dem RBB: "Es gibt sehr viele Gespräche darüber, sehr viel Austausch: Wir fühlen uns nicht sicher. Wir fühlen uns angegriffen. Wir fühlen uns als Zielscheiben."
Die Sicherheitsbehörden sprechen von einer "abstrakten Gefährdungssituation". Das bedeutet, sie haben keine Hinweise auf konkrete Planungen für Angriffe auf jüdische Einrichtungen oder bestimmte Personen. "Aber wir können auch nicht ausschließen, dass es vielleicht auch zu spontanen Taten kommt", sagte der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang.