Projekt der Ampelkoalition Wie strenge Regeln für Alkoholwerbung scheiterten
Die Ampelkoalition wollte Regelungen für Alkoholmarketing verschärfen. Doch das ist nicht passiert. Recherchen zeigen nun, wie das Gesundheitsministerium eine Studie mit einer brisanten Empfehlung ignorierte.
Der Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung war eindeutig. SPD, Grüne und FDP hatten 2021 eine Reform in der Drogenpolitik angekündigt: "Wir verschärfen die Regelungen für Marketing und Sponsoring bei Alkohol, Nikotin und Cannabis."
Konkrete Schritte beim Thema Alkohol hat die Regierung jedoch nicht unternommen. Stattdessen zeigt eine Recherche des Bayerischen Rundfunks, dass das Gesundheitsministerium eine eigens beauftragte Studie weder veröffentlichte, noch den Erkenntnissen folgte. Die Studie empfahl ein komplettes Werbeverbot für Alkohol.
Das Vorhaben der Ampelkoalition war ambitioniert, schließlich standen größere Änderungen zum Thema Alkohol in den Jahren zuvor nicht auf der Agenda: Die letzten entscheidenden Gesetzesänderungen gab es in der Zeit der rot-grünen Regierung unter Kanzler Gerhard Schröder. Damals wurde die Promillegrenze im Straßenverkehr von 0,8 auf 0,5 gesenkt sowie die Alkopop-Steuer eingeführt.
"Problemkind" Deutschland
Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist Deutschland ein Hochkonsumland. Als "Problemkind" bezeichnet der WHO-Direktor für Gesundheitsförderung, Rüdiger Krech, Deutschland im Interview mit dem BR: "Es gibt neun Millionen Menschen, die ein wirkliches Alkoholproblem in Deutschland haben. Und die Politik tut leider viel zu wenig." Zudem seien in Deutschland Informationen über die Gefahren von Alkohol viel zu wenig ausgeprägt, so Krech.
Alkohol wird von Experten mit rund 200 Erkrankungen in Verbindung gebracht, darunter Leberschäden, Demenz und Brustkrebs. Im Jahr 2023 starben 198 Menschen bei alkoholbedingten Verkehrsunfällen, mehr als 18.000 wurden verletzt. Jeder vierte Totschlag wird laut Polizeilicher Kriminalstatistik von Tatverdächtigen begangen, die Alkohol getrunken hatten.
"Durch die hohen Zahlen an alkoholbedingten Erkrankungen heißt das auch, dass Deutschland 57 Milliarden Euro jedes Jahr bezahlt, um mit den Folgen von Alkoholkonsum umzugehen", sagt WHO-Direktor Krech. Das seien etwa Krankheitskosten, Kosten für Fehlzeiten und Rehabilitationskosten.
Kein Gesetzentwurf in Arbeit
Was also ist aus dem Reformvorhaben der Ampelkoalition geworden? BR Recherche hat nach dem Informationsfreiheitsgesetz Dokumente beantragt, die den "Stand des Regierungsvorhabens zum Thema schärfere Regeln für Marketing und Sponsoring von Drogen, insbesondere Alkohol" dokumentieren. Doch in den erhaltenen Unterlagen findet sich nichts, was auf die Arbeit an einem Gesetz hinweist.
Aus den Dokumenten geht hervor, dass das Ministerium 2022 eine "Studie zum Forschungsstand der Assoziationen zwischen Alkoholmarketing / -Sponsoring und Alkoholkonsum" in Auftrag gegeben hat. Das Ministerium versprach sich "evidenzbasierte Grundlagen für die Umsetzung der Vorgaben des Koalitionsvertrags". Diese sollten als wissenschaftlicher Abschlussbericht und als allgemein verständliches Policy Paper "zur späteren Veröffentlichung" vorgelegt werden.
Der Zuschlag für die Studie ging an das Institut für interdisziplinäre Sucht- und Drogenforschung in Hamburg. Die Forscher evaluierten die Studienlage zur Beschränkung von Alkoholmarketing. Anfang 2023 lagen die Ergebnisse dem Ministerium vor.
Vollständiges Marketingverbot für Alkohol empfohlen
Die Wissenschaftler kommen zu einer klaren Empfehlung. Im Bericht an das Ministerium schreiben sie: "Vor dem Hintergrund der verfügbaren Literatur ist zu empfehlen, dass ein vollständiges Marketingverbot erlassen wird."
Diese Empfehlung ist brisant. Denn sie geht über das hinaus, was die Koalition sich vorgenommen hatte. Diese hatte nur angekündigt, Regelungen verschärfen zu wollen. Nicht aber, sämtliche Werbung für Alkohol zu verbieten.
Die Recherche zeigt nun: Anders als ursprünglich vorgesehen, wurde die Studie nicht vom Gesundheitsministerium veröffentlicht. In einer E-Mail, die BR Recherche vorliegt, wird ein leitender Mitarbeiter des Ministeriums deutlich: "Die Ergebnisse sollten die Forderung im KoaV [Koalitionsvertrag] stützen das Alkoholmarketing zu begrenzen. Das können diese Ergebnisse nicht leisten." Daher schlage er vor, die Ergebnisse "nicht zu veröffentlichen".
Ein anderer Mitarbeiter schreibt, man sei "schweren Herzens" zu diesem Ergebnis gekommen. Die Begründung: "Letztendlich handelt es sich um eine Auftragsarbeit und sie ist im politischen Kontext der Legislaturperiode zu betrachten."
Beschränkungen wünschenswert
Auf Anfrage an das Ministerium und die Bundesregierung antwortet das Bundespresseamt. Ein Regierungssprecher schreibt, dass die Studie veröffentlicht wurde und schickt einen Link zu einem Fachartikel in einem englischsprachigen Wissenschaftsmagazin. Die Frage, weshalb die fertige Studie nicht, wie zunächst vorgesehen, auf der Webseite des Ministeriums veröffentlicht wurde, beantwortet die Regierung nicht.
Stattdessen schreibt er: "Eine weitere Beschränkung von Außenwerbung und Sponsoring bezogen auf Alkohol wäre grundsätzlich möglich und wünschenswert." Also eben kein vollständiges Marketingverbot, wie von den Wissenschaftlern empfohlen.
WHO-Direktor Rüdiger Krech möchte Vorgänge im Ministerium nicht kommentieren, sagt jedoch, dass man aus vielen Studien wisse, "dass nur ein vollständiges Werbeverbot wirklich hilft". Am effektivsten sei dies in Verbindung mit weiteren "Maßnahmen der Alkoholkontrolle", wie höheren Steuern oder eingeschränkter Verfügbarkeit von Alkohol.
Mehr zu diesem Thema sehen Sie in der Doku-Serie "Dirty Little Secrets - Warum wir immer weiter trinken" in der ARD-Mediathek.