Aufarbeitung der Flutkatastrophe "Niemand hat seine Arbeit gemacht"
Ein Jahr nach der Flutkatastrophe läuft in Nordrhein-Westfalen die politische Aufarbeitung. Die Vorwürfe gegen die Behörden wiegen schwer. Zieht die Landesregierung nun die richtigen Schlüsse?
"Das ist ganz, ganz wichtig, dass das nächste Mal die Behörden ihre Arbeit machen. Niemand hat diesmal seine Arbeit gemacht, mit den bekannten Folgen." So radikal fällt das Urteil des Meteorologen Jörg Kachelmann während seiner Befragung im Untersuchungsausschuss zur Jahrhundertflut in Nordrhein-Westfalen aus.
Bisher ist der Untersuchungsausschuss noch zu keiner finalen Entscheidung gekommen. Allerdings wurde erst jetzt wieder ein baldiger Abschlussbericht versprochen. Auch von Konsequenzen ist die Rede, die im Anschluss folgen sollen. Im Rahmen eines Gedenkens an die Opfer der Flutkatastrophe sagte der NRW-Landtagspräsident André Kuper: "Wir fühlen mit den Hinterbliebenen, für die dieser Tag die Bilder von vor einem Jahr wiederbringt." Der neue NRW-Umweltminister Oliver Krischer von den Grünen fordert, den ökologischen und vorsorgenden Hochwasserschutz auszubauen, ausreichend zu finanzieren und personell besser auszustatten.
Die richtigen Schlüsse ziehen
Eine Baustelle, an der nun viele akribisch arbeiten würden. "Auch wir schauen, wo wir mit Rückhaltebecken zum Beispiel Zuflüsse lenken könnten", erklärte beispielsweise die Bürgermeisterin von Bad Münstereifel, Sabine Preiser-Marian von der CDU. Doch sei es nicht so einfach wie gedacht, schließlich gibt es in der Eifelregion mehrere Hundert kleine Bäche, Flüsse und Schwachstellen. Das Land Nordrhein-Westfalen will hier nun groß investieren und hat Städten und Kommunen mehr als 740 Millionen Euro bereitgestellt - etwa um Kitas, Feuerwehrhäuser, Straßen und Brücken neu zu bauen. Eben auch um besonders auf Hochwasserschutz zu achten.
Auch der Parlamentarische Untersuchungsausschuss II, der das Handeln der früheren schwarz-gelben Landesregierung aufarbeitet, sicherte den Betroffenen Solidarität zu. Sven Wolf (SPD), Vorsitzender des Ausschusses, kündigte an, die Aufarbeitung der Katastrophe "zeitnah zu einem würdigen Abschluss zu bringen". Man werde Fehler aufklären und dem Parlament konstruktive Verbesserungsvorschläge im Katastrophenschutzrecht unterbreiten. Das Land sei es den Opfern schuldig, die richtigen Schlüsse zu ziehen, damit sich so eine Katastrophe nie wiederhole. Der Landtag hatte den zweiten Untersuchungsausschuss Ende Juni einstimmig eingesetzt, um die Aufarbeitung fortzusetzen.
Bundesamt will Bevölkerungsschutz verbessern
Auch der neue Leiter des Bundesamts für Bevölkerungsschutz, Ralph Tiesler betont: "Wir wissen heute, dass die Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Kommunen im Krisenmanagement nicht funktioniert hat. Das hat dazu geführt, dass viel zu spät gemeinschaftlich und übergreifend koordiniert wurde. Deshalb legen wir nun einen Schwerpunkt auf die intensive Zusammenarbeit aller Akteure im Bevölkerungsschutz."
Außerdem wollten sie die Warnung der Bevölkerung mit dem Sirenenförderprogramm oder der Modernisierung der Warn-App NINA verbessern. "Wir schaffen mit der neuen Resilienzstrategie eine bessere Grundlage für den Umgang mit künftigen Krisen. Wir sorgen mit der Bundesakademie für die nötige Qualifizierung der Fachkräfte. Und wir arbeiten daran, auch den Einsatz Freiwilliger effektiver koordinieren zu können." Alles Pläne, an denen sich die Ämter und Behörden bald messen lassen müssen.
Eine, die im Rahmen der Aufarbeitung der Fluttage, zurücktreten musste ist NRWs ehemalige Umweltministerin Ursula Heinen-Esser. Allerdings erst neun Monate später. Kurz vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. Nach und nach kamen immer mehr Details über ihren Urlaub auf Mallorca heraus, den sie genau während der Fluttage unternommen hatte.
Zwar war sie am 15. Juli für einen Tag zurückgekehrt, doch dann aufgrund von Familienfeiern wieder auf die spanische Insel zurück geflogen. Scheibchenweise rückte Heinen-Esser im Untersuchungsausschuss und Anfang des Jahres mit Informationen zu ihrem Aufenthalt heraus, widersprach sich sogar ein paar Mal. Verwirrend sei ihre Kommunikation, so der Vorwurf auch aus der Opposition. Vor der Landtagswahl war ihre Zeit dann abgelaufen und sie bot ihren Rücktritt an.
Scharrenbach: Mehr als 1,6 Milliarden Euro "in Auszahlung"
Ein weiterer Punkt, der vielen Betroffenen bis heute Probleme bereitet, sind die schleppenden Zahlungen. Auch wenn die bisherige Bilanz laut NRWs Bauministerin Ina Scharrenbach, die auch im neuen Kabinett von Ministerpräsident Hendrik Wüst wieder diesen Posten erhalten hat, positiv ausfällt. Bei einer neuerlichen Pressekonferenz präsentierte den aktuellen Stand. 94 Prozent der privaten Anträgen seien bereits bewilligt, heißt es dort. Mehr als 1,6 Milliarden Euro seien "in Auszahlung", so die CDU-Politikerin. Eine halbe Milliarde gingen davon an Privatmenschen. Städte und Gemeinden hätten bislang 283 Anträge gestellt. 903 Millionen Euro sei denen bewilligt worden.
Die Opposition kritisiert hingegen, dass bewilligte Beträge ja noch keine klare Antwort darüber geben würden, wie viele Gelder und Hilfen wirklich angekommen seien. Viele berichten auch davon, dass sie erst gar keine Anträge gestellt haben, das Prozedere zu kompliziert und eben doch zu bürokratisch. Im Gegensatz zum Versprechen des damaligen NRW-Ministerpräsidenten Armin Laschets, unbürokratisch Hilfe leisten zu wollen.