Fragen und Antworten zum Atomausstieg Streit um den Ausstieg mit Verlängerung

Stand: 22.10.2015 12:14 Uhr

Der Vorstoß von Bundesumweltminister Röttgen für eine möglichst kurze Laufzeitverlängerung von Atommeilern hat die Koalition gespalten. Kritiker aus CDU/CSU und FDP bestehen auf eine Verlängerung auf noch unbestimmte Zeit. tagesschau.de fasst den Gesetzesstand und die Streitpunkte zusammen.

Welche Gesetzesregelungen gibt es?

Im Jahr 2000 vereinbarte die rot-grüne Bundesregierung gemeinsam mit den Energieversorgern den Ausstieg aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie. 2002 trat das Gesetz zum langsamen Ausstieg in Kraft. Es änderte das Atomgesetz von 1959 grundlegend: statt der Förderung der Kernenergie wurde nun ihre geordnete Beendigung angestrebt. Danach ist die Laufzeit für die deutschen AKW auf durchschnittlich 32 Jahre seit Inbetriebnahme befristet. Voraussichtlich 2022 soll der letzte der noch betriebenen 17 Atommeiler vom Netz gehen. Zudem dürfen nach dem Atomkonsens keine neuen Kernkraftwerke gebaut werden.

Welche AKW sind schon vom Netz gegangen?

Insgesamt sind bundesweit 19 Reaktoren stillgelegt - mehrere von ihnen gingen nie ans Netz. Einige wiesen Konstruktions- und Sicherheitsmängel auf. Nach dem Atomkonsens wurden erst zwei Meiler in Deutschland vom Netz genommen: das AKW Stade in Niedersachsen im Jahr 2003 und zwei Jahre später das AKW Obrigheim in Baden-Württemberg. Vom bereits 1988 abgeschalteten AKW Mülheim-Kärlich in Rheinland-Pfalz ging 2001 ein Stromkontingent für diese Anlage in den Atomkonsens-Vertrag ein. Biblis A und Neckarwestheim müssen in diesem Jahr stillgelegt werden.

Welche Positionen vertreten die Parteien?

Neue Atomkraftwerke will keine Partei bauen. CDU und CSU wollen allerdings die Laufzeiten sogenannter sicherer Atommeiler verlängern, bis es genügend Strom aus alternativen Quellen gibt. Auch die Liberalen befürworten die Atomenergie als Übergangstechnologie.

Koalitionsvertrag
"Die Kernenergie ist eine Brückentechnologie, bis sie durch erneuerbare Energien verlässlich ersetzt werden kann.(...) Dazu sind wir bereit, die Laufzeiten deutscher Kernkraftwerke unter Einhaltung der strengen deutschen und internationalen Sicherheitsstandards zu verlängern.(...) In einer möglichst schnell zu erzielenden Vereinbarung mit den Betreibern werden zu den Voraussetzungen einer Laufzeitverlängerung nähere Regelungen getroffen."

Die SPD hält dagegen an dem bis 2022 geplanten Atomausstieg fest. Bis 2050 soll die Stromversorgung nach Vorstellung der SPD vollständig aus erneuerbaren Energien gedeckt werden. Die Grünen wollen die alten Atommeiler so schnell wie möglich abschalten und schon 2040 nur noch Strom aus erneuerbaren Energien gewinnen. Die Linkspartei will die AKW sofort abschalten und dafür den Anteil erneuerbarer Energien, der Kraft-Wärme-Kopplung und die Effizienz drastisch steigern.

Wie wird in der Koalition über das Thema diskutiert?

Der Vorstoß von Bundesumweltminister Röttgen, CDU, hat quer durch die Parteien für hitzige Diskussionen gesorgt: Röttgen fordert, sich möglichst bald von der Atomkraft zu verabschieden und auf erneuerbare Energien zu setzen. Er plädiert unter anderem dafür, die Laufzeit der Atommeiler um höchstens acht auf 40 Jahre zu verlängern. Wirtschaftspolitiker aus seiner eigenen Partei halten diese Laufzeit für viel zu kurz. Sie fordern, dass die AKW bis zu 60 Jahre am Netz bleiben. Auch CSU und FDP sind für längere Laufzeiten. Bundesaußenminister Westerwelle sagte, Röttgens Pläne seinen mit dem Koalitionsvertrag nicht vereinbar. Bundeskanzlerin Merkel und die CDU-Spitze stellten sich inzwischen hinter Röttgen.

Welche Kritik äußert die Opposition?

Die SPD kritisierte den Minister wegen seines Vorschlags scharf. Röttgen betreibe den Wiedereinstieg in die Hochrisiko-Technologie Kernkraft. Der SPD-Parteivorsitzende Gabriel bezeichnete ihn als "Atomlobbyisten im grünen Mäntelchen". Die Grünen nennen die Forderungen des Umweltministers inkonsequent. Ihr Vorsitzender Özdemir sagte, wenn Röttgen den Kompromiss mit der Atomwirtschaft wieder aufmache, sei das eine "Kriegserklärung gegen die Gesellschaft". Auch Umweltverbände und Gewerkschaften plädierten dafür, am geplanten Ausstieg bis spätestens 2022 festzuhalten. Grundsätzliche Kritik kam von den Industrieverbänden: sie halten erneuerbare Energien als zukunftsnahen Kernenergie-Ersatz für ungeeignet.