Parteienforscher zur Lage der Koalition "Der Kanzlerin ist egal, ob die FDP mitzieht"
Bei den drei Landtagswahlen 2012 stehen die Prognosen für die FDP schlecht, trotzdem gibt sie sich selbstbewusst. "Mut der Verzweiflung", sagt FDP-Experte Dittberner im tagesschau.de-Interview. Für die Kanzlerin werde das Regieren noch unbequemer, aber Merkel mache ohnehin, was sie für richtig halte - mit oder ohne FDP.
tagesschau.de: Der FDP-Parteivorsitzende Rösler hat die anstehenden Wahlen in drei Landesparlamenten als eine Chance zur Renaissance der FDP beschrieben. Woher nimmt er dieses Selbstbewusstsein?
Jürgen Dittberner: Es ist wohl der Mut der Verzweiflung. Die Voraussagen sind ja nicht günstig. Ich weiß nicht, wie die FDP die kommenden Landtagswahlen überstehen will. Im Saarland wird es sehr eng, in Schleswig-Holstein sieht es auch nicht gut aus. In NRW muss man zwar erstmal den Wahlkampf abwarten, aber es sieht nicht so aus, dass die FDP das Wunder schaffen wird.
Das Problem ist, sie hatten in NRW ja gar keine andere Wahl, als so zu entscheiden: Hätten sie dem Haushalt zugestimmt, wäre Hohn und Spott über ihnen ausgegossen worden. Man hätte gesagt, sie opfern ihre Grundsätze, um zu überleben.
"Es ist ein schwieriges Spiel, auch für die Kanzlerin"
tagesschau.de: Wenn die FDP jetzt aber nicht überlebt und in allen drei Landesparlamenten nicht mehr vertreten sein wird, wird sie damit für die Kanzlerin nicht unberechenbar?
Dittberner: Unberechenbar vielleicht nicht. Aber sie wird sich noch mehr auf ihre Positionen versteifen. Sie wird weiterhin und mit sehr viel Härte dafür plädieren, die Staatsverschuldung nicht auszuweiten. In Marktfragen wird sie sehr konsequent sein. Aber ob sie das alles durchhalten kann, ist die Frage. Denn auch im Bundestag stehen ja andere Mehrheiten zur Verfügung. Das ist ein schwieriges Spiel, auch für die Kanzlerin. Sie wird natürlich gelockt von der SPD und von den Grünen, sich mit deren Stimmen von der FDP unabhängig zu machen. Aber wenn sie sich darauf einließe, würde sie wiederum von den anderen abhängig werden.
tagesschau.de: Wie verlässlich ist die FDP noch als Koalitionspartner?
Dittberner: Sie wird immer wieder Konflikte suchen. In der Vergangenheit ist sie dabei nicht besonders geschickt gewesen. Wenn man meint, einen Sieg errungen zu haben, dann triumphiert man nicht hinterher. Das sind auch Stilfragen, die hier eine Rolle spielen. Es drückt natürlich auch auf die Stimmung in der Koalition, dass die FDP nicht gleichwertig neben der Union steht.
"2009 sprach man von einem Traumbündnis - jetzt ist es zerrüttet"
tagesschau.de: Wie wahrscheinlich ist ein Bruch der Koalition?
Dittberner: Es ist sehr wahrscheinlich, dass diese Koalition bis zur nächsten Bundestagswahl weitergeführt wird. Die Kanzlerin macht ja ohnehin die Politik, die sie für richtig hält. Man hat den Eindruck, ob die FDP da mitzieht oder nicht, ist ihr egal. Aber nach der Bundestagswahl ist Schluss. Schon jetzt schaut sich die Union nach anderen Partnern um. So war das 2009 eigentlich nicht gedacht, da sprach man noch von einem Traumbündnis - jetzt ist es ziemlich zerrüttet.
tagesschau.de: Es ist ja nicht ganz unwahrscheinlich, dass die FDP auch im künftigen Bundestag nicht mehr vertreten sein wird...
Dittberner: Die Bundestagswahl ist die entscheidende Schlacht. Die FDP ist die einzige der kleinen Parteien von 1949, die überhaupt bis heute überlebt hat. Sie ist bisher noch in jedem Bundestag gewesen. Ob sie es dieses Mal wieder schaffen wird, ist noch nicht klar. Sie wird darauf setzten, dass Wähler sich ganz genau überlegen, wem sie ihre Stimme geben, und weniger experimentierfreudig sind, als bei Landtagswahlen. Das ist die einzige Chance für die FDP.
"Ob die Partei nochmal Mut zu einer Rochade hat, ist unklar"
tagesschau.de: Wenn es wirklich zu drei Niederlagen bei den anstehenden Landtagswahlen kommt: Wie wird sich die FDP dann personell aufstellen?
Dittberner: Es könnte passieren, dass sie Rösler vom Parteivorsitz abziehen. Es hat sich ja schon jetzt gezeigt, dass die Wahl von Rösler zum Parteivorsitzenden der FDP nicht aus der Krise geholfen hat. Ob die Partei aber tatsächlich den Mut dazu haben wird, noch einmal so eine personelle Rochade zu machen, weiß ich nicht.
In der Kürze der Zeit, könnte sie dabei nur auf altbewährtes Personal zurückgreifen. Sie müsste also Brüderle nach vorne stellen. Er war als Fraktionsvorsitzender erfolgreich. In der Vergangenheit hat man ihn aber nicht so richtig ernst genommen. Alle anderen früheren Konkurrenten Westerwelles, wie Möllemann, Rexrodt, Döring stehen ja mittlerweile nicht mehr zur Verfügung.
tagesschau.de: Westerwelle ist ein guter Wahlkämpfer und hat wieder an Format gewonnen. Könnte er ein Comeback erleben?
Dittberner: Das glaube ich nicht. Westerwelle hat die Partei in seiner langjährigen Zeit als Vorsitzender in diese schwierige Situation geführt. Er hat die FDP zur Ein-Mann-Partei und zur Ein-Themen-Partei gemacht. Das passt nicht zum Liberalismus, und das ist auch nicht vergessen.
Das Interview führte Sandra Stalinski, tagesschau.de