ARD-DeutschlandTrend Mehrheit in großer Sorge wegen Nahost
Die Mehrheit der Deutschen macht sich große Sorgen wegen der Lage in Nahost - das geht aus dem ARD-DeutschlandTrend hervor. Israels militärische Reaktion auf den Überfall der Hamas wird unterschiedlich bewertet.
Es ist knapp vier Wochen her, dass die islamistische Terrororganisation Hamas Israel überfallen hat. Dabei wurden mehr als 1.400 Menschen getötet und mehr als 240 Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Wie stark bewegt die Deutschen die Situation vor Ort?
Knapp drei Viertel (74 Prozent) geben an, die aktuellen Geschehnisse im Nahen Osten würden sie sehr stark oder stark bewegen; 22 Prozent sagen, es bewege sie weniger stark oder gar nicht. Eine deutliche Mehrheit der Befragten zeigt sich auch in großer Sorge: um die entführten Geiseln (81 Prozent), um die palästinensische Zivilbevölkerung (72 Prozent) und auch um die israelische Zivilbevölkerung (65 Prozent). Gleichzeitig fürchten 78 Prozent, dass sich der Konflikt auf Nachbarländer in der Region ausbreitet.
Das hat eine repräsentative Umfrage von infratest dimap unter 1.314 Wahlberechtigten für den ARD-DeutschlandTrend von Montag bis Mittwoch dieser Woche ergeben. Die Menschen, die wir dafür befragen, sind deutsche Staatsbürger. Das gemessene Meinungsbild kann sich also durchaus von dem der Gesamtbevölkerung in Deutschland unterscheiden.
Israelische Reaktion ruft geteiltes Meinungsbild hervor
Nachdem Israel von der Hamas überfallen wurde, hat Israel sich zum Ziel gesetzt, die islamistische Terrororganisation komplett zu zerschlagen - sowohl mittels Angriffen aus der Luft als auch mit Bodentruppen. Die israelische Armee hat nach eigenen Angaben seit Kriegsbeginn mehr als 12.000 Ziele im Gazastreifen angegriffen.
Diese militärische Reaktion Israels auf die Terroranschläge bewerten 35 Prozent der deutschen Wahlberechtigten als angemessen; acht Prozent geben an, dass die Reaktion nicht weit genug gehe. Somit halten 43 Prozent der Bundesbürger das Agieren der israelischen Armee für angemessen oder nicht ausreichend, während 41 Prozent sagen, dass der Gegenschlag der israelischen Armee zu weit geht.
Dass die Verhältnismäßigkeit beim Kampf gegen die Hamas gewahrt werden müsse - darauf drängen mehrere Staats- und Regierungschefs. Die Zahl der getöteten Palästinenser im Gazastreifen gibt das von der militant-islamistischen Hamas kontrollierte Gesundheitsministerium bis heute mit 9.061 an. Dabei sieht sich Israel dem Dilemma gegenüber, dass sie sich mit einer Terrorgruppe im Krieg befindet, die bewusst mit und unter der palästinensischen Zivilbevölkerung lebt und diese auch als menschliche Schutzschilde zu missbrauchen scheint.
Sind die militärischen Aktionen Israels gegen die Hamas auch dann gerechtfertigt, wenn davon die Zivilbevölkerung mitbetroffen ist? Unter den deutschen Wahlberechtigten beantwortet ein Viertel (25 Prozent) der Befragten diese Frage mit ja. Aber 61 Prozent meinen, dass solche Angriffe dann nicht gerechtfertigt seien.
Das Völkerrecht sagt an dieser Stelle: Wenn Zivilisten bewusst neben militärischen Zielen platziert werden, um den Gegner von einem Angriff abzuhalten, dann ist dies ein Kriegsverbrechen seitens der Hamas. Für Israel wiederum bedeutet das, dass militärische Ziele nur unter größtmöglicher Schonung der Zivilbevölkerung bekämpft werden dürfen. Es muss also in jeder Situation eine Abwägung zwischen sogenannten Kollateralschäden (an Zivilisten) und militärischer Notwendigkeit geben.
Deutsche sehen Hamas als hauptverantwortlich für Lage in Gaza
Die Bundesbürger sprechen aktuell weder Israel noch die Hamas von einer Verantwortung für die aktuelle schwierige Lage der Zivilbevölkerung im Gazastreifen frei. Bezogen auf die Terrororganisation Hamas sagen 45 Prozent der Befragten, dass sie "voll und ganz" verantwortlich ist für die Zustände vor Ort; 32 Prozent sagen, dass sie "eher" verantwortlich ist. Zusammengenommen sehen also drei Viertel der Wahlberechtigten (77 Prozent) die Verantwortung voll und ganz beziehungsweise eher bei der Hamas.
Mit Blick auf Israel sagen 15 Prozent der Befragten, dass das Land "voll und ganz" verantwortlich ist für die Situation der palästinensischen Zivilbevölkerung im Gazastreifen; 42 Prozent sehen Israel "eher" als verantwortlich an - macht zusammen 57 Prozent.
Grundgesamtheit: Wahlberechtigte in Deutschland
Erhebungsmethode: Zufallsbasierte Telefon- und Online-Befragung (davon 60 Prozent Festnetz, 40 Prozent Mobilfunk)
Erhebungszeitraum: 30. Oktober bis 01. November 2023
Fallzahl: 1.314 Befragte (783 Telefoninterviews und 531 Online-Interviews)
Gewichtung: nach soziodemographischen Merkmalen und Rückerinnerung Wahlverhalten
Schwankungsbreite: 2 Prozentpunkte bei einem Anteilswert von 10 Prozent
3 Prozentpunkte bei einem Anteilswert von 50 Prozent
Durchführendes Institut: infratest dimap
Die Ergebnisse sind auf ganze Prozentwerte gerundet, um falsche Erwartungen an die Präzision zu vermeiden. Denn für alle repräsentativen Befragungen müssen Schwankungsbreiten berücksichtigt werden. Diese betragen im Falle einer Erhebung mit 1000 Befragten bei großen Parteien rund drei Prozentpunkte, bei kleineren Parteien etwa einen Punkt. Hinzu kommt, dass der Rundungsfehler für kleine Parteien erheblich ist. Aus diesen Gründen wird keine Partei unter drei Prozent in der Sonntagsfrage ausgewiesen.
Mehrheit sieht sich ausbreitenden Antisemitismus in Deutschland
Seit dem Angriff auf Israel vom 7. Oktober sind deutlich mehr antisemitische Vorfälle von Meldestellen in Deutschland verzeichnet worden. Gut die Hälfte der Bundesbürger teilt gegenwärtig die Wahrnehmung eines sich in der Bundesrepublik ausbreitenden Antisemitismus (52 Prozent; -7 zu Oktober 2019), vier von zehn (37 Prozent; +2) teilen diese Ansicht nicht.
Das Empfinden eines zunehmenden Antisemitismus in der bundesdeutschen Gesellschaft ist damit zwar nicht so stark ausgeprägt wie vor vier Jahren - und damit unmittelbar nach dem rechtsextremen Anschlag auf die Synagoge von Halle, bei dem zwei Menschen getötet wurden. Aber die Mehrheit sieht einen zunehmenden Antisemitismus, und zwar über Parteilager hinweg: Anhänger der Grünen (71 Prozent), Anhänger der SPD (64 Prozent), Anhänger von Union und Linkspartei (je 56 Prozent). Ein anderes Bild bietet sich nur bei den Anhängern der AfD: Hier finden 40 Prozent, dass der Antisemitismus in Deutschland sich ausbreitet, während 46 Prozent dies verneinen.
Geplante Wagenknecht-Partei: Gut jeder Dritte bewertet sie wohlwollend
Vor wenigen Tagen hat Sahra Wagenknecht angekündigt, im kommenden Jahr eine neue Partei gründen zu wollen. Gut jeder Dritte (36 Prozent) meint, dass eine solche neue Partei für die Politik in Deutschland positiv ist. Die Hälfte (51 Prozent) ist gegenteiliger Ansicht. Für knapp drei von zehn (29 Prozent) käme die Wahl der Partei grundsätzlich infrage, für 61 Prozent käme dies nicht infrage.
Wahlberechtigte im Osten der Republik (39 Prozent) sind empfänglicher für die Wahl einer Wagenknecht-Partei als Bürgerinnen und Bürger im Westen (26 Prozent). Vor allem Anhänger der AfD (55 Prozent) äußern eine überdurchschnittliche Offenheit zur möglichen Unterstützung der Partei - und auch Anhänger der aktuell nicht im Bundestag vertretenen Parteien äußern überdurchschnittlichen Zuspruch (38 Prozent).
Zudem zeigen sich bei den Menschen, die die aktuelle Arbeit der Bundesregierung skeptisch sehen, größere Sympathien gegenüber der angestrebten Parteineugründung (32 Prozent). Damit ist die Sympathie deutlich höher als bei den Unterstützern der Ampelkoalition (18 Prozent).
Bei der offenen Frage nach den Gründen für eine mögliche Wahl wird an erster Stelle von den Befragten eine allgemeine Enttäuschung gegenüber anderen Parteien benannt (40 Prozent). Thematisch hat die Migrationspolitik einen großen Stellenwert (25 Prozent), gefolgt von der Wirtschafts- und Sozialpolitik (18 Prozent) sowie Fragen der Außen- und Ukraine-Politik (11 Prozent).
Für fast drei von zehn (28 Prozent) ist die Person Wagenknecht selbst ein zentrales Argument. Jeder Neunte (11 Prozent) begründet seine Sympathien für das Parteiprojekt mit neuen Impulsen für die Politik.