Interview zum CDU-Parteitag "Die stillgelegte Partei"
Wofür steht die CDU? Der Politikberater Daniel Dettling vermisst bei den Christdemokraten Streit und Debatte. Die Partei habe keine Visionen mehr. Die Jüngeren müssten mutiger für ihre Themen streiten, fordert Dettling im Interview mit tagesschau.de.
tagesschau.de: Im Bund ist die CDU stärkste Partei, der Rückhalt in den Ländern schwindet. Woran liegt das?
Daniel Dettling: Die Länder sind seit jeher anders strukturiert. Hier bestimmen stärker Sachthemen die Politik. Auf Bundesebene wird weniger die Partei als der Kanzler gewählt, und die CDU ist eine Kanzlerwahlpartei.
Daniel Dettling ist promovierter Jurist und Politikberater, arbeitet beim Zukunftsinstitut und ist Gründer und Chef von "re:publik - Institut für Zukunftspolitik".
tagesschau.de: Mittlerweile sind die Grünen an mehr Landesregierungen beteiligt als die CDU. Ist das Zufall?
Dettling: Die CDU hat ihre ideenpolitische Mehrheitsfähigkeit verloren. Ihr fehlt schlicht der natürliche Koalitionspartner. Früher war das die FDP, jetzt bleiben der CDU als Koalitionspartner nur die SPD oder die Grünen. Und hier gibt es immer noch Berührungsängste.
tagesschau.de: Bei den letzten Landtagswahlen hat die AfD gut abgeschnitten. Ist es klug von der CDU, auf eine Koalition mit der AfD zu verzichten?
Dettling: Die AfD kommt für die Union unter Merkel nicht infrage. In Thüringen hat die CDU kurz mit einer Unterstützung geliebäugelt - und die Idee wieder verworfen. Die CDU will durch gezieltes Ignorieren die AfD wieder in die Bedeutungslosigkeit drängen. Das scheint mir eine kluge Strategie zu sein. Die AfD kann der Merkel-CDU sogar nutzen. Für die breite Mehrheit ist ihr Personal von gestern: männliche Modernisierungsverlierer, die sich nach der vermeintlich guten alten Zeit sehnen.
tagesschau.de: Die AfD hat viele Themen aufgenommen, bei denen die CDU kein klares Profil zeigte. War das ein Fehler der Christdemokraten?
Dettling: Die CDU vermeidet in vielen Bereichen eine offene Diskussion und den parteiinternen Streit. Dahinter steht die von den Demoskopen verbreitete Unterstellung, dass der Wähler Streit nicht mag. Die Wähler mögen aber sehr wohl sachliche Debatten, an deren Ende ein Kompromiss steht. Der CDU ist zu raten, dass sie mehr Diskussion und Streit wagt. Nichts ist langweiliger als eine stillgelegte Partei.
Verlässlich - aber ohne Zukunftsvisionen
tagesschau.de: Die CDU wirbt immer vor allem mit Kanzlerin Merkel. Für welche Inhalte steht die Partei?
Dettling: Die CDU steht vor allem für Verlässlichkeit. Der Wähler weiß vorher, was er hinterher bekommt. Das weiß er bei der SPD nicht mehr, die sowohl mit der CDU, mit den Grünen als auch mit der Linkspartei Koalitionen eingeht. Das ist ein wichtiger Pluspunkt bei den Christdemokraten, den die Deutschen schätzen: Stabilität, Verlässlichkeit. Wir leben in einem, was Veränderungsprozesse angeht, eher langsamen Land. Das verkörpert die CDU: eine Politik der kleinen Schritte. Allerdings fehlen ihr jegliche Visionen. Es reicht nicht, die soziale Marktwirtschaft zu verteidigen.
Und es reicht nicht zu sagen, dass man keine Schulden machen will und nicht die Schulden anderer übernehmen wird. Das ist zwar sehr populär. Andererseits wissen die Bürger sehr wohl, dass die Krise in Europa so auf Dauer wohl nicht gelöst wird. Die CDU verfährt hier wie andere Parteien auch: Man unterschätzt die Bürger und traut ihnen nicht die ganze komplexe Wahrheit zu. Dies sorgt dafür, dass sich immer mehr Menschen frustriert von der Politik abwenden. Die CDU müsste stärker nach vorne denken - und diese Debatte dem Wähler auch zumuten.
tagesschau.de: Die CDU stand für ein christlich-konservatives Weltbild. Von vielen Themen wie dem konservativen Familienmodell, der Wehrpflicht hat sie sich verabschiedet. Ist sie dadurch konturenlos geworden?
Dettling: Es zeichnet eine moderne Volkspartei aus, dass sie sich in wichtigen Kernfragen modernisiert, den Zeitgeist versteht und wichtige Entwicklungen innerhalb der Gesellschaft aufnimmt. Dies hat die CDU in den vergangenen Jahren nahezu vorbildlich umgesetzt, sie hat auf den gesellschaftlichen Wandel sehr gut reagiert. Allerdings müssen die Christdemokraten derzeit aufpassen, dass sie wichtige Themen, für die die CDU immer stand, nicht aus den Augen verlieren. Die CDU war zum Beispiel immer eine Europapartei. Dieses Image droht sie derzeit zu verlieren.
tagesschau.de: Die CDU ist Ihrer Meinung nach also keine Europapartei mehr?
Dettling: Das Thema Europa spielt bei der CDU allenfalls defensiv eine Rolle: 'Wir übernehmen nicht die Schulden der anderen. Wir wollen keine politische Union, wir wollen keine Sozial-Union und eine Fiskal-Union nur zu unseren Bedingungen.' Die CDU will Europa vor allem so, wie es uns in Deutschland nutzt. Die Altvorderen der Partei kritisieren deshalb schon länger, dass die Union nicht europäisch, nicht langfristig genug denkt. Die Christdemokraten versäumen derzeit, ein Bild für das Europa der Zukunft zu entwerfen und dafür zu werben.
tagesschau.de: Hat die CDU ein Nachwuchsproblem?
Dettling: Das hat sie eigentlich nicht. Die Mitgliederstruktur ist zwar stark überaltert, aber es gibt doch viele interessante junge Politiker auf Landes- und auch auf Bundesebene. Die CDU hat mit Peter Tauber einen guten, jungen Generalsekretär und viele gute Fachpolitiker, die nachrücken. Nicht die fehlenden Personen sind das Problem. Es fehlt an politisch strategischer Auseinandersetzung mit den großen Themen. Es gibt keine wirklich gute Diskussionskultur in der Partei. Das liegt auch daran, dass es den jungen Politikern nicht gelingt, die Themen ihrer Generation stark zu machen wie zum Beispiel die Rentengerechtigkeit und das nachhaltige Wirtschaften.
Eine neue Generation von "Fehler-Vermeidungs-Politikern"
tagesschau.de: Handelt es sich bei den jungen Christdemokraten wie Tauber und Spahn um einen neuen Typ von Politikern?
Dettling: Die Jungen sind fast allesamt kontrollierte Offensivspieler. Sie wägen jedes Wort vorher ab und gehen Politik ähnlich an wie Kanzlerin Merkel - nämlich sehr analytisch, pragmatisch, vom Ende her denkend. Da bleibt wenig Raum für Grundsatzdebatten. Es fehlen bei vielen die Ecken und Kanten und ein gewisser Eigensinn. Durch Allianzen zum Beispiel zwischen der Jungen Union und der Frauenunion ließen sich Themen wie die Generationengerechtigkeit und eine moderne Familienpolitik mehr nach vorn zu spielen.
tagesschau.de: Ist diese neue Generation von Politikern zu harmlos?
Dettling: Sie sind allesamt sehr fähig, aber sehr kontrolliert und vor allem darum bemüht, keine Fehler zu machen. Sie wissen, dass wenn sie nicht zu sehr anecken, dann wird es für sie schon gut laufen. Sie gehören zum Typ des Fehler-Vermeidungs-Politikers. Und das bringt eine Partei inhaltlich nicht nach vorn.
tagesschau.de: Welche Inhalte, welche Debatten, was wäre denn zukunftsträchtig für die CDU?
Dettling: Die zwei große Herausforderungen unserer Zeit sind der demographische Wandel und der digitale Wandel. Beide Themen werden in Deutschland sehr defensiv und ängstlich definiert. Beides sind aber Themen, in denen sehr viel Chancen und Gestaltungsmacht stecken. Die Jüngeren müsste diese Themen anpacken und nach vorne denken. Wer, wenn nicht sie?
Das Interview führte Simone von Stosch, tagesschau.de.