Kritik an neuem Verein Zweierlei Maß bei "Corona-Rebellen"
Ein Verein von Medizinern und Wissenschaftlern will Gesundheit, Freiheit und Demokratie auf Basis von Wissenschaftlichkeit und Evidenz schützen. Bisherige Aktionen und Aussagen nähren daran Zweifel.
Die Ziele klingen edel: Man strebe eine "kritische Beobachtung von gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen in Sachen Gesundheit, Freiheit und Demokratie zum bestmöglichen Schutz dieser Werte" an. Dazu hole man "kompetenten Wertungen auf Basis von Wissenschaftlichkeit und Evidenz" ein. So heißt es auf der Homepage der "Mediziner und Wissenschaftler für Gesundheit, Freiheit und Demokratie" (MWGFD e.V.).
Allerdings finden sich unter den Gründungsmitgliedern neben der Biologin Karina Reiß, die an einer dermatologischen Klinik arbeitet, keine aktuell an einer Hochschule medizinisch forschenden Wissenschaftler: Neben einer Lehrerin, einer Psychologin, einer Heilpraktikerin, einer Arzthelferin, einer Krankenschwester, einer Hebamme und einem Frauenarzt sind darunter aber einige einschlägig bekannte Namen.
Die prominentesten unter den Gründern des MWGFD sind drei der exponiertesten Kritiker der staatlichen Corona-Maßnahmen: Der emeritierte Mikrobiologie-Professor Sucharit Bhakdi, der Hals-Nasen-Ohrenarzt Bodo Schiffmann und der Finanzwissenschaftler Stefan Homburg. Als "weiteres Mitglied" wird unter anderem auch der ehemalige Amtsarzt Wolfgang Wodarg aufgeführt. Allen vier ist gemeinsam, dass ihre zur Corona-Pandemie geäußerten Ansichten, vorsichtig gesagt, von vielen ihrer Kollegen nicht geteilt werden oder teilweise sogar widerlegt wurden.
Der HNO-Arzt Schiffmann gehört zu den profiliertesten, aber auch umstrittenen Kritikern der Corona-Maßnahmen.
Hinweis auf "Widerstandsrecht"
Der MWGFD rühmt sich, mehr als 19.000 namentlich bekannte Unterstützer zu haben - und lässt keine Zweifel, was der Hauptzweck des Vereins ist: gegen die Maßnahmen der Regierung zur Eindämmung der Corona-Pandemie vorzugehen. Eine der Aktionen des Vereins war der Versuch, für einen fünfstelligen Betrag eine Anzeige in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung FAZ zu schalten - so twitterte es Stefan Homburg. Der MWGFD-Vorstand erklärte dagegen gegenüber tagesschau.de über das Preisangebot sei "Stillschweigen vereinbart" worden, Homburg wiederum bestritt dies auf Twitter.
In dem Text der Anzeige wurden die Bundesregierung und alle Landesregierungen aufgefordert, "sämtliche noch bestehenden Grundrechtseinschränkungen sofort ersatzlos aufzugeben". Die Anzeige, die von der FAZ laut MWGFD wegen "schwerwiegender Bedenken hinsichtlich der dargestellten Inhalte oder der getroffenen Aussagen" letztlich abgelehnt wurde, endet mit dem auch von Reichsbürgern gerne zitierten Artikel 20 Absatz 4 des Grundgesetzes: "Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist."
Die FAZ bestätigte gegenüber tagesschau.de, dass die Anzeige aus dem von dem MWGFD genannten Grund abgelehnt wurde. Dies sei jedoch nicht, wie vom Verein behauptet, "in letzter Minute" erfolgt. Vielmehr sei die Anzeige zu keinem Zeitpunkt zur Veröffentlichung angenommen worden, sondern bis zur Absage im Prüfstatus gewesen.
Was mit dem Hinweis auf den Grundgesetzartikel bezweckt werden sollte und ob der MWGFD damit andere dazu aufrufen wollte, das Widerstandsrecht auszuüben, dazu bezog der Verein auf Anfrage von tagesschau.de keine Stellung - mit dem Verweis, dass die Anzeige ja nicht erschienen sei. Auch auf der MWGFD-Website wurde ihr Text inzwischen gelöscht. Stattdessen wurde in der "Welt" vom 27. Juni ein anderer Aufruf ohne den Hinweis auf Artikel 20 platziert.
Von der ursprünglich versprochenen Transparenz hat sich der Verein weitgehend verabschiedet: Bis heute wurde die angekündigte Liste der MWGFD-Unterstützer mit Namen, Funktion und Titel nicht veröffentlicht. Auch eine zwischenzeitlich versprochene teilanonymisierte Liste gibt es weiterhin nicht. Die sei "Aufgrund von Namens-Doppellungen" (sic!) offline genommen worden, heißt es auf der Website.
Nur noch 25 Mitglieder zugelassen
Hieß es in der Satzung des MWGFD noch, "Mitglieder können alle natürlichen und juristischen Personen werden, die die Ziele des Vereins unterstützen und im Bereich der Medizin tätig sind oder sich in Forschung und Lehre mit den Themen Gesundheit, Freiheit und Demokratie beschäftigen", kündigte der Verein nun an, dass von den angegebenen fast 19.000 Unterstützen nur 25 tatsächlich aufgenommen werden. Neben den zwölf Gründungsmitgliedern und acht namentlich auf der Website aufgeführte "weiteren Mitgliedern" stehen faktisch also noch fünf Plätze offen.
Der MWGFD-Vorstand erklärte gegenüber tagesschau.de, dass nur er selbst über die Aufnahme von Mitgliedern entscheide, wollte sich aber nicht zu den Kriterien äußern. Diesen gegenüber werde auch selbstverständlich über die Mittelverwendung Rechenschaft abgelegt, wie dies für alle Vereine rechtlich vorgeschrieben ist. Die Mitgliedschaft selbst sei beitragsfrei.
Emotion statt Evidenz?
Auch "kompetente Wertungen auf Basis von Wissenschaftlichkeit und Evidenz" scheinen dem MWGFD nun weniger wichtig zu sein: Auf der Homepage rief der Verein dazu auf, "emotional berührende reale Geschichten von eigenen leidvollen Erfahrungen, die Menschen im Zusammenhang mit den maßlos überzogenen sog. 'COVID-19-Eindämmungsmaßnahmen' gemacht haben", einzuschicken, um "viele Menschen auch auf der emotionalen Ebene erreichen und zum Umdenken zu bewegen".
Der MWGFD-Vorstand stört sich auch nicht daran, dass mehrere Mitglieder das in der Satzung erklärte Hauptziel von "Wissenschaftlichkeit und Evidenz" aktiv unterlaufen. So empfiehlt ein MWGFD-Mitglied, der Arzt und "Quantenheiler" Andreas Diemer, auf seiner Homepage, gegen "Viren, auch bei Covid-19 und anderen Corona-Viren", Chlordioxid einzunehmen oder gar zu injizieren - eine Behandlung die nicht nur wirkungslos, sondern potenziell lebensgefährlich ist.
Auch andere MWGFD-Mitglieder propagieren Behandlungsformen, die nicht evidenzbasiert sind oder sich sogar als unwirksam beziehungsweise gefährlich erwiesen haben, zum Beispiel "Psychologische Astrologie" und "Theta Healing". Der MWGFD-Vorstand hat trotzdem kein Problem damit: "Der Verein hat sich niemals zu den von Ihnen genannten Therapien in irgend einer Weise geäußert. Hinsichtlich ihrer beruflichen und privaten Lebensführung sind unsere Mitglieder frei und nicht dem Verein gegenüber rechenschaftspflichtig", erklärte er gegenüber tagesschau.de.
Zweifelhafter Aufruf an Ärzte
Ein weiterer Aufruf des MWGFD geht an "alle ärztlichen Kolleginnen und Kollegen". Diese sollen mittels Attest "möglichst viele Menschen insbesondere auch Schul- und Kindergartenkinder von der komplett unsinnigen Maskenpflicht" befreien, auch wenn keine entsprechende Vorerkrankung vorliegt. Als Begründung wurden eine Reihe von unbewiesenen oder bereits widerlegten Behauptungen angeführt.
Medizinrechtler und Ärztekammern warnen
Jens Prütting, Professor für Medizinrecht an der Bucerius Law School Hamburg, hält den Aufruf selbst ob seiner vage gehaltenen Formulierungen und den eingefügten Vorbehalten hinsichtlich notwendiger Einzelfallprüfungen "wohl gerade noch so gestaltet, dass es im Zweifel für die Autoren nicht straf- und berufsrechtlichen Konsequenzen kommen wird". Das Papier verkenne jedoch die Reichweite der gesetzgeberischen Einschätzungsprärogative - also das Vorrecht, über die Eignung und Erforderlichkeit einer Regelung zur Erreichung eines legitimen Ziels zu entscheiden. Damit leite der Aufruf rechtlich in die Irre, sagte er tagesschau.de. Daher warnt Prütting die Ärzteschaft davor, den erteilten Rat zu befolgen, da dies im jeweiligen Einzelfall zivil-, berufs- und strafrechtliche Konsequenzen haben könnte.
Die Ärztekammer Baden Württemberg erklärte gegenüber tagesschau.de, die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt müsse immer mit Sorgfalt und im Einzelfall entscheiden, ob einer Person mit medizinischen oder anderweitigen Einschränkungen die Unzumutbarkeit des Maskentragens bescheinigt werden kann. Der direkte Austausch von Arzt und Patient sei dafür unabdingbar. Das Ausstellen eines Blanko-Attests ohne vorheriges Arztgespräch entspräche nicht der ärztlichen Sorgfaltspflicht.
Herr Professor Bhakdi ist kein Mitglied der Kieler Christian-Albrechts-Universität. Allerdings verfügt er über die Berechtigung, im Bereich einer Professur im klinischen Bereich des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein zu forschen. Ob und in welchem Umfang er dies tut, ist uns aktuell nicht bekannt.
Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (FAZ) und MWGFD-Gründungsmitglied Stefan Homburg widersprechen zudem der Aussage des MWGFD-Vorstands gegenüber tagesschau.de, dass über den Anzeigenpreis mit der FAZ Stillschweigen vereinbart worden sei.