Interview mit Konfliktforscher "Hatespeech breitet sich immer mehr aus"
Verwechseln öffentlich-rechtliche Medien Hatespeech mit Kritik? Wird Hassrede aus dem linken Spektrum verschwiegen? Im Interview räumt Andreas Zick von der Uni Bielefeld mit derartigen Vorurteilen auf und berichtet von den Folgen für Betroffene.
tagesschau.de: In den Kommentaren auf Facebook behaupten Nutzer immer wieder, die Tagesschau würde begründete sachliche Kritik als Hatespeech verunglimpfen. Was sagen Sie dazu?
Andreas Zick: Diese Argumentation ist so ähnlich wie die von Rassisten, die sagen: "Ich bin kein Rassist, aber ...". Von Hatespeech reden wir, wenn eine Person oder eine Gruppe abgewertet und herabgesetzt wird. Wenn wir zum Beispiel sagen, Muslime sollten sich verständigen, ob Gewalt ein Teil der Religion ist, dann wäre dies Ausdruck einer kritischen Haltung. Wenn ich aber Muslimen generelle Terrorismusneigung unterstelle, dann hat das mit Kritik nichts zu tun. Die Behauptung, die Herabwürdigung sei eigentlich eine Kritik, ist also oft nur eine Schutzbehauptung.
tagesschau.de: Ein weiterer Vorwurf, der häufig in Kommentarspalten gepostet wird, ist, dass sich Journalisten lediglich auf rechte Hetze konzentrierten und Hate Speech von links ignorieren würden. Inwiefern gibt es eine Verbindung zwischen Hatespeech und politischer Orientierung?
Zick: Wenn wir uns Internetseiten anschauen - dazu gibt es Untersuchungen - dann finden wir kaum Hatespeech auf linken Websites. Es gibt im linksextremen Bereich Kritik und auch zum Teil Agitation. Es gibt Propaganda gegen das System, gegen Eliten und auch teilweise Hetze gegen Personen. Aber eine bestimmte Kultur der Abwertung und Herabwürdigung finden wir vor allem im rechten Spektrum.
Außerdem beobachten wir immer mehr, wie sich Hatespeech auch in der Mitte der Gesellschaft breit macht. Viele Menschen aus der Mitte haben sich von der Elitenkritik im rechtspopulistischen Spektrum anstecken lassen.
Hate Speech stigmatisiert Gruppen als Opfer
tagesschau.de: Wie wirkt sich Hatespeech auf die Betroffenen aus?
Zick: Aus der Stigmatisierungsforschung ist bekannt, dass Stereotype, mit denen Betroffene immer wieder konfrontiert werden, verletzen. Es gibt soziale, psychologische und gesundheitliche Folgen, insbesondere dann, wenn die Betroffenen verunsichert sind und keine Unterstützung erfahren. Die Forschung zeigt auch, dass einige Menschen anfangen, an sich zu zweifeln. Sie beginnen die Stereotype zu glauben, um die Bedrohung loszuwerden.
Aus unserer Studie mit Journalisten wissen wir, dass einige anfangen, an ihrer Arbeit zu zweifeln. Ausdrücke wie "System-" oder "Lügenpresse" treffen die Journalisten emotional.
tagesschau.de: Ihre Studie zu Hatespeech im Journalismus trägt den Titel "Publizieren wird zur Mutprobe". Inwiefern gefährdet Hatespeech die Pressefreiheit?
Zick: Viele der von uns befragten Journalisten sagten deutlich, dass sie in der Ausübung ihres Berufes eingeschränkt sind. 24 Prozent von denen, die einen Angriff mit Hasskommentaren erlebt haben, sagen, ihre Arbeit werde dadurch behindert oder beeinträchtigt. Aber auch zehn Prozent derjenigen, die gar keinen Angriff erlebt haben, berichten über eine Beeinträchtigung ihrer journalistischen Arbeit. Hatespeech trifft also auch die Kollegen und Freunde einer betroffenen Person.
Hatespeech immer häufiger kampagnenartig
tagesschau.de: Wissen die Verfasser von Hatespeech, welche Folgen ihre Kommentare für die Betroffenen haben?
Zick: Ein Teil weiß es definitiv und greift motoviert und mit Absicht an. Hatespeech ist zum großen Teil eingebettet in eine Kampagne. Mittlerweile professionalisiert sich das immer mehr: Einige Angreifer nutzen die Technik und versenden unter Fake-Adressen Hass-E-Mails und Hassbotschaften. Wir haben zum Beispiel 2015 festgestellt, als es um Geflüchtete ging, dass Hatespeech von rechtspopulistischen Gruppen organisiert war und bestimmte Journalisten wie Anja Reschke oder Dunja Hayali oder prominente Politiker bekamen das besonders zu spüren.
Wenn es sich aber um einzelne Kommentare auf einen bestimmten Bericht handelt, sind sich die Verfasser nicht immer der Effekte bewusst. Ein schönes Beispiel sind die Erlebnisse von Renate Künast, die von Haus zu Haus gelaufen ist und Menschen direkt auf ihre Hasskommentaren ansprach. Viele Personen sagten ihr, sie hätten es nicht so gemeint. Das ist eines der Probleme der anonymen Online-Kommunikation: Die Leute senden die Hassbotschaft und kennen die Folgen nicht.
tagesschau.de: Was kann gegen Hatespeech unternommen werden?
Zick: Wir haben diese Frage den Journalisten selbst gestellt. 80 Prozent in unserer Studie sagen, wir brauchen mehr Aufklärung. Die Mehrheit sagt: nicht zurückziehen. Außerdem wünschen sich viele mehr mediale Kompetenz auf Seiten derjenigen, die Medien konsumieren. Viele Nutzer sind nicht in der Lage, ihre Kritik kompetent vorzubringen. Die Journalisten wünschen sich Beratungsangebote und wir brauchen eine klare Dokumentation über die Menge und Formen von Hatespeech und welche Effekte Hatespeech hat.
Das Gespräch führte Melanie Stein, tagesschau.de