Grenze zu Kroatien Kein Durchbruch von 20.000 Flüchtlingen
Rund 20.000 Migranten wollen die Grenze von Bosnien nach Kroatien durchbrechen: Das berichten verschiedene Medien. ARD-Recherchen zeigen: Die Lage ist zwar angespannt, die Zahl aber viel zu hoch. Von Patrick Gensing.
Rund 20.000 Migranten wollen die Grenze von Bosnien nach Kroatien durchbrechen: Das berichten verschiedene Medien. ARD-Recherchen zeigen: Die Lage ist zwar angespannt, die Zahl aber viel zu hoch.
Am 4. November veröffentlichte die österreichische "Kronen Zeitung" einen Artikel mit dem Titel: "Jetzt kommen ganz andere!" Es drohe ein Grenzsturm, meldete das Blatt. Und dann hieß es:
An Kroatiens Grenze, nur 224 Kilometer von Österreich entfernt, hoffen mehr als 20.000 Migranten auf die Chance eines Durchbruchs nach Mitteleuropa - die Exekutive ist besorgt.
Einem Abteilungsleiter im Wiener Innenministerium liegen nach Angaben der Zeitung entsprechende Informationen von "Verbindungsoffizieren" aus dem bosnisch-kroatischen Grenzgebiet vor. Dort sei seit Monaten eine größere Anzahl von Migranten aus verschiedenen Ländern gestrandet. "95 Prozent dieser Migranten, die da durchbrechen wollen, sind junge Männer, fast alle mit Messer bewaffnet" - berichtet die Zeitung unter Berufung auf eine Quelle im Innenministerium.
Weiter heißt es, "die Masse kommt aus Pakistan. Und es sind viele Iraner, Algerier, Marokkaner". Ihr Ziel sei auch nicht Österreich: "Die Migranten wollen nach Deutschland, weiter in skandinavische Länder. Österreich hat für sie mittlerweile einen zu schlechten Ruf."
So berichtet die "Kronen Zeitung" über die Lage an der Grenze.
"70.000 Migranten in Wartestellung"
Zahlreiche rechte Online-Publikationen griffen den Artikel auf. "Tichys Einblick" berichtete, an der Grenze zu Kroatien drohe ein "'Grenzsturm' zigtausender junger Männer u.a. aus Pakistan. Alle wollen nach Deutschland und Skandinavien."
Weiter schreibt "Tichys Einblick" unter Berufung auf den Bericht der "Krone", einige Zuwanderer hätten Prepaid-Kreditkarten des UNHCR und der Unicef, um dann die Theorie in den Raum zu stellen, die Flüchtlinge sollten "durch diese ausreichende Versorgung fit" gemacht werden "für den Sprung nach Deutschland und vereinzelt auch nach Skandinavien". Zudem wird über eine "verdeckte" Frontex-Operation an der Grenze spekuliert.
Das rechtsextreme Magazin "Zuerst" schreibt sogar von "Zehntausenden gewaltbereiten Migranten an der kroatisch-bosnischen Grenze". Die Zahl von angeblich 20.000 Personen an der Grenze zu Kroatien wird hier noch vermengt mit der Angabe von "40 bis 70.000 Migranten", die sich auf der Balkanroute "in Wartestellung" befänden.
Bild aus dem Kontext gerissen
Als Bild zu der Meldung präsentiert "Zuerst" ein Foto, auf dem mehrere junge schwarze Männer zu sehen sind, die drohend in die Kamera schauen.
Dieses Motiv nutzte "Zuerst" bereits mehrfach. "Bayern: Schwarzafrikaner randalieren und bringen Zugverkehr zum Erliegen", lautete eine der Meldungen, eine andere: "Wieder Grenzansturm in Melilla: 200 Schwarzafrikaner stürmen gewaltsam Grenzzäune". Auch rassistische Blogs zeigen das Foto zu verschiedenen Meldungen, beispielsweise: "Schwarzafrikaner uriniert auf Spielplatz und verprügelt türkischen Familienvater."
Eine Bilder-Suche zeigt, dass das Motiv bereits seit 2006 im Netz kursiert. Damals bebilderte eine bekannte ungarische Nachrichten-Seite einen Artikel über die ablehnende Haltung vieler Ungarn gegenüber Asylbewerbern mit dem Foto. Der Ursprung bleibt unklar. Klar ist aber: Das Bild stammt nicht aus dem Jahr 2018 und nicht aus dem Grenzgebiet zu Kroatien.
20.000 Flüchtlinge im gesamten Jahr im ganzen Land
Was ist aber dran an den Informationen, die die "Krone" aus dem Wiener Innenministerium bekommen haben will und die für Aufruhr im Netz sorgen? Das ARD-Studio Wien fragte die Büros des Hohen Flüchtlingskommissariats der Vereinten Nationen (UNHCR) in Sarajevo und Wien an, beide widersprachen den Darstellungen.
Tatsächlich sind demnach im gesamten Jahr 2018 etwa 20.000 Migranten in Bosnien und Herzegowina registriert worden. Eine so große Anzahl an Menschen sei aber nie gleichzeitig im Land gewesen, geschweige denn aktuell an der Grenze zu Kroatien. Zurzeit halten sich nach Angaben des UNHCR insgesamt etwa 5000 Migranten in Bosnien und Herzegowina auf.
Die bosnische Regierung bestätigte diese Angaben auf Anfrage von WDRforyou. Auch das Innenministerium Österreichs erklärte auf Anfrage des ARD-Studios Wien, dass sich die Zahl 20.000 auf das gesamte Jahr 2018 bezieht. In einer schriftlichen Stellungnahme heißt es weiter, die Lage vor Ort sei zur Stunde unter Kontrolle.
Kroatien: Lage unter Kontrolle
Kroatien widersprach der Darstellung, es drohe ein "Durchbruch". Das Innenministerium teilte auf Anfrage von WDRforyou mit, das Land verfüge mit 6500 Grenzpolizisten über eine der stärksten Polizeikräfte in diesem Teil Europas. An gefährdeten Teilen der Grenze sei eine ausreichende Anzahl von Polizisten vor Ort.
Kroatien verfüge "über ausreichende Kapazitäten, um jede Bedrohung der Staatsgrenze zu jeder Zeit, ob zu Lande oder auf See, zu begegnen".
Vorwürfe gegen Kroatien
Hilfsorganisationen werfen Kroatien vor, überzogen gegen Flüchtlinge vorzugehen. ProAsyl berichtet, wenn "Schutzsuchende irgendwo in Kroatien aufgegriffen werden, verweigern ihnen die dortigen Behörden das Recht, Asyl zu beantragen. Geflüchtete werden nicht registriert, sondern von der kroatischen Grenzpolizei direkt wieder nach Bosnien abgeschoben."
Zudem würden Flüchtlinge verprügelt. Das kroatische Innenministerium wies diese Anschuldigungen auf Anfrage von WDRforyou komplett zurück.
UNHCR-Kreditkarten nutzlos
Reporter des ARD-Studios Wien und WDRforyou waren in den vergangenen Tagen im bosnischen Grenzgebiet zu Kroatien unterwegs. Sie bestätigten, es seien viel weniger Menschen dort als bisweilen behauptet. Die Versorgung sei zudem keineswegs "relativ gut geregelt", es habe Streit bei der Verteilung von Lebensmitteln gegeben. Auch die Unterbringung sei schwierig. Viele Menschen, darunter Frauen und Kinder, würden zelten. Die zunehmende Kälte erschwere die Situation. Auch Hilfsorganisationen waren vor einer Krise.
Angebliche Prepaid-Kreditkarten des UNHCR, die laut der "Kronen Zeitung" viele Migranten hätten, würden bei der Versorgung nicht weiterhelfen, berichtet das ARD-Studio Wien. Solche Karten verteilt das UNHCR nach eigenen Angaben ausschließlich in Griechenland, diese Karten funktionieren auch nur dort und seien in Bosnien und Herzegowina nutzlos.
Angespannte Lage
Auch wenn von 20.000 bewaffneten Migranten keine Rede sein kann: Die ARD-Reporter berichten, insgesamt sei die Lage durchaus angespannt. Ende Oktober hatte es an der EU-Außengrenze zwischen Bosnien und Kroatien Zusammenstöße zwischen Flüchtlingen und der Polizei gegeben. Etwa 100 Flüchtlinge durchbrachen eine Kette bosnischer Polizisten, wurden dann aber von einer anderen Einheit gestoppt.
Die Polizei blockiert etwa 100 Flüchtlinge im Grenzgebiet zu Kroatien.
2015 waren über die Balkanroute mehr als eine Million Menschen nach Westeuropa gekommen. Seit zwei Jahren ist dieser Transitweg durch Grenzzäune und den verstärkten Einsatz von Polizei und Militär weitgehend blockiert. Flüchtlinge versuchen nun verstärkt, über Bosnien in die EU zu gelangen.