Krieg gegen die Ukraine Raketenangriffe auf mehrere Städte
Die russische Armee soll in der Nähe der ukrainischen Stadt Lwiw ein Tanklager durch Raketen zerstört haben. Nahe Charkiw geriet eine Atomforschungsanlage unter Beschuss. Moskau und Kiew vereinbarten für heute weitere Fluchtkorridore.
Russland hat nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Moskau militärische Ziele in der westukrainischen Stadt Lwiw mit Marschflugkörpern angegriffen. Diese seien eingesetzt worden, um eine Anlage in der Stadt zu treffen, in der Flugabwehrsysteme, Radarstationen und Zielgeräte für Panzer repariert würden, hieß es in einer Erklärung.
"Die Streitkräfte der Russischen Föderation setzen die Offensivaktionen im Rahmen der speziellen Militäroperation fort", so das Ministerium unter Verweis auf die offizielle russische Bezeichnung der Invasion. Russland habe seegestützte Langstreckenraketen eingesetzt, um ein Arsenal von S-300-Raketen und BUK-Flugabwehr-Raketensystemen in der Nähe von Kiew zu zerstören, hieß es weiter. Russische Streitkräfte hätten zudem eine Reihe von Drohnen zerstört.
Brennstoffdepot zerstört
Zudem sei am Samstag ein von ukrainischen Streitkräften genutztes Tanklager in Lwiw mit Langstreckenraketen attackiert und zerstört worden. Aus dem Brennstoffdepot sei das ukrainische Militär im Westen des Landes und nahe Kiew versorgt worden, teilte der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, mit. Ukrainischen Angaben zufolge gab es mindestens fünf Verletzte.
Nach den russischen Angriffen wurde in Lwiw ein Mann unter Spionageverdacht festgenommen. Der Verdächtige habe gefilmt, wie eine Rakete auf ihr Ziel zuflog und einschlug, sagte der Gouverneur der Region, Maxym Kosytskyj. Außerdem habe die Polizei bei ihm Handyfotos von Kontrollpunkten entdeckt, die an zwei russische Telefonnummern geschickt worden seien.
Weiß schraffiert: Vormarsch der russischen Armee. Grün schraffiert: von Russland unterstützte Separatistengebiete. Krim: von Russland annektiert.
Forschungsreaktor in Charkiw erneut unter Beschuss
In Charkiw geriet eine Atomforschungsanlage nach ukrainischen Angaben erneut unter russischen Beschuss. Die am Samstag entstandenen Schäden im physikalisch-technischen Institut könnten wegen der Kämpfe derzeit nicht untersucht werden, teilte die staatliche Atominspektion mit.
In dem Institut steht den Angaben zufolge eine Versuchsanlage mit einer Neutronenquelle für Forschungszwecke und zur Herstellung von Radioisotopen für Industrie und Medizin. Sie war nach ukrainischen Angaben bereits vor knapp zwei Wochen bei einer Bombardierung beschädigt und von der Energieversorgung abgeschnitten worden. Die Internationale Atomenergiebehörde erklärte, in der Anlage befänden sich nur geringe Mengen radioaktiven Materials, das nicht hoch angereichert sei. Das reduziere die Gefahr, dass bei Schäden Strahlung freigesetzt wird.
Slawutytsch wohl unter russischer Kontrolle
Die russische Armee übernahm zudem nach ukrainischen Angaben die Kontrolle über die Kleinstadt Slawutytsch, den Wohnort des Personals der Atomruine von Tschernobyl. Wie die Militärverwaltung der Region Kiew auf Telegram mitteilte, drangen russische Soldaten in die Stadt ein, besetzten das städtische Krankenhaus und nahmen kurzzeitig den Bürgermeister gefangen. Stunden später kam Bürgermeister Juri Fomitschew dann wieder frei. Am Abend meldete er den Tod von drei Menschen.
Aus Protest gegen die Besatzung waren die Einwohner von Slawutytsch auf die Straßen gegangen und mit einer riesigen ukrainischen Flagge Richtung Krankenhaus gezogen, wie die Regionalbehörden bekannt gaben. Die Militärverwaltung veröffentlichte Bilder, auf denen sich Dutzende Menschen um eine ukrainische Flagge versammeln und "Ruhm der Ukraine" skandieren. Das russische Militär habe Warnschüsse abgegeben und die Demonstranten mit Blendgranaten beworfen.
Demonstranten in Slawutytsch.
Großbritannien: Russland will Truppen im Osten einkreisen
Der Generalstab der ukrainischen Streitkräfte erklärte, Russland habe seine "bewaffnete Aggression in vollem Umfang" fortgesetzt. Allerdings hätten die ukrainischen Streitkräfte sieben Angriffe in den östlichen Regionen Donezk und Luhansk zurückgeschlagen. Dabei hätten sie mehrere Panzer und gepanzerte Fahrzeuge zerstört. Die Angaben über die Kämpfe in der Ukraine können nicht unabhängig überprüft werden.
Nach Angaben des britischen Verteidigungsministeriums scheinen sich die russischen Streitkräfte derzeit darauf zu konzentrieren, ukrainische Truppen einzukesseln, die den separatistischen Regionen im Osten des Landes direkt gegenüberstehen. Sie rückten aus Richtung Charkiw im Norden und Mariupol im Süden vor, wie das Ministerium auf Grundlage von Geheimdienstinformationen berichtete. "Das Schlachtfeld in der Nordukraine bleibt weitgehend statisch", hieß es weiter. Lokale ukrainische Gegenangriffe behinderten die Versuche Russlands, ihre Streitkräfte neu zu organisieren.
Die russischen Streitkräfte hätten aber weiter Ziele in der gesamten Ukraine beschossen. Dabei seien sie auf Raketen angewiesen, die sie von russischem Territorium aus abfeuern können, weil die ukrainische Luftabwehr immer wieder russische Kampfflugzeuge ins Visier nehme. Allerdings sei der russische Vorrat an Raketen begrenzt, so dass die Invasoren entweder auf weniger zielgenaue Raketen zurückgreifen oder größere Risiken für ihre Luftwaffe in Kauf nehmen müssten.
Selenskyi fordert weitere Waffenlieferungen
Die Ukraine und Russland vereinbarten nach ukrainischen Angaben auch für heute zwei Fluchtkorridore, um Zivilisten aus den Frontgebieten zu evakuieren. Dazu gehöre auch, dass Menschen mit Privatautos die besonders umkämpfte südöstliche Hafenstadt Mariupol verlassen können, sagt die ukrainische Vize-Ministerpräsidentin Iryna Wereschtschuk. Mariupol ist von russischen Einheiten eingekesselt und seit Wochen schwerem Beschuss ausgesetzt. Die Ukraine und Russland haben sich zuletzt immer wieder gegenseitig vorgeworfen, die Einrichtung von Fluchtkorridoren für Zivilisten zu verhindern.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj rief die internationale Gemeinschaft erneut zur Lieferung schwerer Waffen auf, darunter Kampfflugzeuge und Panzer. "Wir brauchen mehr Waffen, um nicht nur die Ukraine, sondern auch andere osteuropäische Länder zu schützen, denen Russland mit einem Einmarsch gedroht hat", appellierte er in der Nacht. Während des Treffens mit den Vertretern der USA am Samstag in Polen sei dies nochmal deutlich gemacht worden.
Zuvor hatte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba nach einem Treffen mit US-Präsident Joe Biden in Polen erklärt, dass die USA "keine Einwände" gegen die Lieferung von Kampfjets durch Polen an die Ukraine hätten. "Der Ball liegt jetzt im Spielfeld der Polen", sagte Kuleba.