Charkiw in der Ukraine Folternetzwerk der russischen Truppen
22 Folterstätten fanden ukrainische Ermittler laut offiziellen Angaben bisher in der ukrainischen Region Charkiw. Betroffene berichten von Schlägen mit Metallstangen, Elektroschocks und Waterboarding.
Vor den mehrstöckigen Wohnblöcken im ukrainischen Isjum versammeln sich in diesen Tagen die Bewohner. Ein Generator brummt. Dutzende Menschen laden hier ihre Mobiltelefone auf. Es gibt noch immer keinen Strom. Isjum ist nach schweren Kämpfen stark zerstört. Der Krieg hat sichtbare Spuren hinterlassen.
Eine Zeit der Folter und des Verrats
Hinter den zerstörten Fassaden wird langsam der ganze Horror der russischen Besatzung sichtbar. Dieses halbe Jahr war auch eine Zeit der Folter und des Verrats. In einem der grauen, stromlosen Häuserblocks lebt Oleksandr Gluschko. Er erzählt, die russischen Soldaten hätten ihn zwei Mal gefoltert.
Das erste Mal fünf Tage lang. Sie haben mich zu Brei geschlagen. Dann haben sie mich einfach über die Straße geschleift und ins Gebüsch geworfen.
Dann sei eine Frau vorbeigekommen, die er um Hilfe gebeten habe. "Die Frau kam zu mir und hat dann ein paar junge Männer gefunden, die mich von dort weggebracht haben", erzählt Gluschko weiter.
Nur noch ein Arzt im Krankenhaus
Im Krankenhaus arbeitet zu diesem Zeitpunkt nur noch ein Arzt. Er hilft Gluschko und registriert ihn unter falschem Namen, um ihn vor den russischen Soldaten zu schützen.
Bis heute hat Gluschko Probleme zu gehen - und das Erlebte zu verarbeiten. Er riecht nach Alkohol. Ein beißender Geruch dringt aus seiner Wohnung. Er erzählt: "Ich war im Krieg in der Ostukraine. Von 2018 bis 2020. Jemand hat mich verraten. Ich weiß nicht wer." Aber es sei jemand, der ihn kannte und das wusste, erklärt Gluschko. Man habe ihn an die Russen verraten, sagt er: "Im Krieg gewesen zu sein heißt, dass du Verbindungen hast zur Territorialverteidigung oder der ukrainischen Armee."
Mindestens zehn Folterstätten in Isjum
Die russischen Soldaten verdächtigen Menschen wie Gluschko. Sie suchen nach Feinden, die der ukrainischen Armee helfen, gegen die russischen Truppen zu kämpfen. Gluschkos Fall ist kein Einzelfall. Dutzende Folterstätten wurden mittlerweile in der Region Charkiw entdeckt. Zehn sollen es laut Recherchen der Nachrichtenagentur AP allein in Isjum sein. Keller, Schulen, Kindergärten oder Polizeistationen - überall wurde demnach gefoltert.
Wolodymyr Tymoschko, Polizeichef der Region Charkiw sagte im ukrainischen Fernsehen, in einigen Fällen seien Menschen sogar nach Russland gebracht worden - "nach Schebekino, kurz hinter der Grenze - gebracht, dort gefoltert und dann in die Ukraine zurückgebracht". In Schebekino werden laut Tymoschko "unsere Gefangenen von Polizei und Militär festgehalten". Dort habe man sie gefoltert.
22 Folterstätten in der Region Charkiw
In der Region Charkiw haben ukrainische Ermittler laut offiziellen Angaben bisher 22 Folterstätten in unterschiedlichen Orten gefunden. Überlebende berichten ukrainischen Medien, sie seien teilweise von einer Stadt in eine andere Stadt in der Region verlegt worden.
Auch Gluschko wird ein zweites Mal verhaftet. Von der zweiten Verhaftung erzählt er: "Beim zweiten Mal haben sie mich geholt, kurz bevor unsere ukrainische Armee die Stadt zurückerobert hat. Zwei Wochen lang war ich mit ein paar anderen Jungs in einer Zelle in der Polizeistation."
Einem von ihnen seien die Zähne ausgeschlagen worden. Er habe gesagt, er habe 5000 ukrainische Hrywnja - etwa 140 Euro - für seine Zähne ausgegeben und jetzt habe er gar keine mehr. Ein alter Mann war laut Gluschko auch da, 68 Jahre alt. Er kenne ihn schon lange, erzählt Gluschko. "Als sie ihn reinbrachten, war ich fassungslos. Ich sagte zu ihm: Mischa, wie bist du denn hier gelandet?"
Handgelenke zerschmettert
Mischa - Michajlo Tschendej - wird noch Wochen später in einem Krankenhaus in Charkiw behandelt. Seine Handgelenke sind zerschmettert. Tschendej wurde festgenommen und gefoltert, weil er in Verdacht geraten war, russische Positionen dem ukrainischen Militär verraten zu haben. Ein Irrtum, sagt Tschendej. Und er sagt:
Nicht einmal die Nazis haben so gefoltert wie die Russen.
Zu fünft, zu sechst seien sie gegen eine Person vorgegangen. "Ich konnte sie nicht sehen, meine Augen waren verdeckt, aber es waren viele. Sie haben an meinem Kopf vorbeigeschossen, an meinem Ohr. Sie haben hart zugeschlagen. Zweieinhalb Stunden lang", erzählt Tschendej weiter. Er verliert literweise Blut und überlebt nur knapp.
Foltermethoden immer die gleichen
Opfer berichten von den immer gleichen Foltermethoden: Schläge mit Metallstangen, Elektroschocks, Scheinexekutionen, Waterboarding. Nicht alle überleben.
Nach Angaben der ukrainischen Behörden wurden bei 30 von über 400 Leichen, die in einem Wald bei Isjum begraben wurden, Spuren von Folter entdeckt. Gefesselte Hände, gebrochene Knochen, Schusswunden und Stichverletzungen. Die russischen Streitkräfte - sie haben auch in Charkiw systematisch gefoltert.