Deutsch-polnische Beziehungen Eine schwierige Partnerschaft
Bundespräsident Steinmeier gedenkt heute gemeinsam mit Polens Präsident Duda des Aufstands im Warschauer Ghetto. Das Verhältnis der beiden Länder ist aktuell durchaus schwierig.
Von einer Eiszeit in den deutsch-polnischen Beziehungen möchte der SPD-Politiker Axel Schäfer nicht sprechen. Eiszeit wäre, wenn es überhaupt keine funktionierenden Beziehungen auf allen Ebenen gäbe. Im wirtschaftlichen Bereich habe man aber "sehr viele sehr gute Beziehungen" und auch "viel Austausch in der Gesellschaft". Nur politisch sei es schwierig mit der ultra-konservativen PiS-Regierung.
Schäfer war gerade mit einer Delegation der deutsch-polnischen Parlamentariergruppe in Warschau. Dort durfte er dem polnischen Außenminister Zbigniew Rau zuhören, der in einer dreistündigen Grundsatzrede wenig Schmeichelhaftes über Deutschland zu sagen hatte.
Für Schäfer, den überzeugten Europäer und ehemaligen EU-Abgeordneten, war es diesmal "besonders traurig festzustellen, dass dann versucht wurde, eine Abrechnung mit Deutschland zu machen", die sogar Willy Brandts Entspannungspolitik in Zweifel zog.
Mit dem Aufstand im Warschauer Ghetto leisteten die jüdischen Bewohner Widerstand gegen die deutschen Besatzer. Der Aufstand begann am 19. April 1943, als die Nationalsozialisten die letzten Bewohner des abgeriegelten Stadtgebiets in Vernichtungslager deportieren wollten. Vier Wochen konnten sie den Widerstand aufrecht erhalten, bevor die Nationalsozialisten das Ghetto vollständig zerstörten. Insgesamt kamen mehr als 56.000 Juden während des Aufstands ums Leben.
1940 hatten die deutschen Besatzer mitten in Warschau einen Wohnbezirk für polnische und aus Deutschland deportierte Juden errichtet. Der von einer hohen Mauer umgebene Bezirk - "Ghetto" genannt - war ein Sammellager für das nahe gelegene Vernichtungslager Treblinka und das Konzentrationslager Majdanek. Die Lebensbedingungen im Ghetto waren menschenunwürdig. Viele Bewohner starben an Unterernährung und Krankheiten. Infolge der Deportationen verkleinerte die SS das Ghetto-Gelände zunehmend. Allein zwischen Juli und September 1942 wurden mehr als 240.000 Menschen deportiert.
An den Aufstand erinnert das "Denkmal der Helden des Ghettos". 1970 kniete der damalige Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) bei einem Besuch in Warschau vor dem Mahnmal nieder. Die Bilder gingen um die Welt. Der Kniefall gilt heute als wichtige Geste auf dem Weg der Versöhnung zwischen Deutschland und Polen.
Parlamentswahlen im Herbst
Polens Politiker befinden sich im Wahlkampfmodus - im Herbst sind Parlamentswahlen. Und vor allem die PiS und ihr Vorsitzender Jaroslaw Kaczynski profilieren sich gerne mit Anti-Deutschland und Anti-EU-Parolen. Hinter verschlossenen Türen finden die Gespräche zwischen Deutschen und Polen in guter Atmosphäre statt, aber in der Öffentlichkeit herrschen raue, bisweilen schrille Töne vor.
Dietmar Nietan von der SPD ist Koordinator für die deutsch-polnische Zusammenarbeit. Er spricht von einer "Schere im Kopf". "Wer beim PiS-Präsidenten Kaczynski auffällt als Deutschen-Freund, der hat in der PiS keine Chance, und das macht die größten Probleme", bedauert Nietan.
Das habe sich zuletzt auch bei der Umweltvergiftung an der Oder gezeigt, als polnische Behörden lange zögerten, bevor sie in Kontakt mit ihren deutschen Kollegen traten, um sie über die Katastrophe zu informieren. Beide Seiten hätten aber aus Fehlern und Missverständnissen lernen wollen. Nietan ist der Meinung, die Kommunikation laufe jetzt besser.
Der CDU-Abgeordnete Paul Ziemiak ist Vorsitzender der deutsch-polnischen Parlamentarier-Gruppe. Sein Urteil über die polnische Regierung fällt etwas milder aus als das von Schäfer: Polen wolle eine Partnerschaft auf Augenhöhe. Und das sei etwas, das man in Deutschland zu wenig beachte. Manchmal, bedauert Ziemiak, fehle es auch an Zeichen, dass deutsche Regierungen Polen ernst nähmen.
Etwa dann, wenn deutsche Bundeskanzler und -kanzlerinnen entgegen aller polnischen Warnungen lange an billigem russischen Gas oder Nord Stream festhielten - oder Olaf Scholz per Zug durch Polen in die Ukraine reist, ohne den polnischen Präsidenten zu fragen.
Polen im Zwiespalt zwischen Russland und EU
Der russische Angriffskrieg in der Ukraine hat jedoch etwas Annäherung gebracht. So beschreibt es Nietan. Mittlerweile sei die Kommunikation zu allen Themen, die die Ukraine betreffen, deutlich besser als noch zu Beginn des Ukraine-Kriegs. Nicht nur bei Waffenlieferungen, sondern auch in der Frage der Abstimmung innerhalb der EU, was die Beitrittsperspektive angeht oder die Zusammenarbeit in humanitären Fragen zwischen Warschau und Berlin.
Während Polen sich am Anfang noch geweigert hatte, deutsche Patriot-Luftabwehrsysteme im Südosten des Landes zu installieren, geht die Zusammenarbeit jetzt deutlich schneller. Das war zuletzt sehr gut zu beobachten bei der Lieferung von fünf MiG-Kampfjets aus ehemaligen DDR-Beständen an die Ukraine, die die Bundesregierung in einem Rekordtempo genehmigte.
Der Ukraine-Krieg hat die PiS-Regierung in ein Dilemma gestürzt, beobachtet Nietan. Zum einen sehe man sich fest in der NATO als Bollwerk gegen Russland und trage auch innerhalb der EU die Sanktionen mit. Zum anderen aber mache die PiS seit geraumer Zeit eine destruktive Politik gegen die EU-Kommission, die für sie, so Nietan, ein "trojanisches Pferd für den deutschen Hegemon" sei.
Sorge um Menschenrechte, Frauenrechte, Minderheitenrechte
Der Grünen-Politikerin Nyke Slawik, auch sie ist Mitglied der deutsch-polnischen Parlamentariergruppe, machen die eingeschränkte Medienfreiheit, die Repressionen gegenüber Frauen, die abtreiben wollen, und gegenüber Minderheiten wie der LGBTQ-Community große Sorgen. Laut der europäischen Menschenrechtsorganisation ilga europe liegt Polen bei den LGBTQ-Rechten seit mehreren Jahren auf dem letzten Platz innerhalb der EU - noch hinter Ungarn.
Gerade die zivilgesellschaftlichen Themen, die Verschärfung des Abtreibungsrechts und der Umbau des Justizsystems durch die PiS haben in Deutschland viel Kritik ausgelöst. Dennoch sagt auch Slawik: "Wir brauchen Polen, und die Polen brauchen uns." Gleichzeitig gebe es in Polen starke Vorbehalte gegenüber den Deutschen, das sei vor allem die mangelnde Aufarbeitung der Gräueltaten und Verbrechen, die im Zweiten Weltkrieg begangen wurden und die die polnische Regierung weiter thematisiere.
Wunden der Vergangenheit
Und da sind eben noch die Wunden der Vergangenheit. Nietan stellt klar: Reparationszahlungen, wie sie immer wieder von polnischer Seite gefordert werden, wird es nicht geben. Dies gelte aber nicht für Gesten des guten Willens und der Wiedergutmachung.
Vor dem Hintergrund der präzedenzlosen Menschheitsverbrechen, die von deutscher Seite oft auf polnischem Boden stattgefunden haben im Zeitraum zwischen 1939 und 1945, sieht Nietan noch viel Luft nach oben für entsprechende Gesten, die am Ende auch den deutschen Steuerzahler Geld kosten müssten.
Nietan denkt hier an einen Zukunftsfonds oder die Frage, ob bestimmte polnische Kulturgüter, die im Zweiten Weltkrieg zerstört wurden, mit deutschem Geld wiederaufgebaut werden - wie das Sächsische Palais in Warschau. Es seien Gesten, die im Übrigen nicht nur die PiS-Regierung, sondern Politiker fast aller polnischen Parteien von Deutschland erwarteten. Das jedenfalls könnte helfen, ein Tauwetter in den deutsch-polnischen Beziehungen einzuleiten.