Zahlreiche Menschen gehen die Küstenstraße al-Rashid in Gaza entlang.

Waffenruhe im Gazastreifen Zehntausende Palästinenser kehren nach Nord-Gaza zurück

Stand: 27.01.2025 21:59 Uhr

Es sind Szenen der Freude: Zehntausende Palästinenser haben sich auf den Weg in ihre Heimatorte im Norden des Gazastreifens gemacht. In die Erleichterung mischt sich aber auch Angst, denn die Zukunft des Gazastreifens bleibt ungewiss.

Zehntausende Palästinenser haben sich auf dem Weg zurück in den Norden des Gazastreifens gemacht. Unzählige Familien schleppten so viele Habseligkeiten wie möglich zu Fuß über eine Küstenstraße, um in ihre Heimatorte zurückzukehren.

Zuvor hatte das israelische Militär am Morgen den sogenannten Netzarim-Korridor geöffnet. Er trennt den Süden des Gazastreifens vom Norden und war monatelang geschlossen. Den in den Süden geflüchteten Palästinensern war es nicht möglich, in ihre Häuser und Wohnungen - oder was davon übriggeblieben ist - zurückzukehren.

"Ein langer Weg, aber er war voller Freude"

Reporter der Nachrichtenagentur AP berichteten, dass kurz nach 7 Uhr Ortszeit die ersten Palästinenser den vom israelischen Militär angelegten Netzarim-Korridor passierten. Die Menschen, die zu Fuß unterwegs waren, wurden vom israelischen Militär nicht durchsucht. Ein Kontrollposten für Fahrzeuge wurde später ebenfalls geöffnet. Dort bildete sich ein mehrere Kilometer langer Stau.

Ein Vertreter der Terrororganisation Hamas sagte der Nachrichtenagentur AFP, in den ersten zwei Stunden seien "mehr als 200.000 Vertriebene" in die Regionen Gaza und Nord-Gaza zurückgekehrt. Am Abend meldete die Hamas, dass rund 300.000 Menschen in dem Gebiet eingetroffen sein sollen. Die Angaben ließen sich nicht unabhängig überprüfen. Die Vereinten Nationen sprachen auf der Plattform X von "Hunderttausenden", die in den Norden des Gazastreifens zurückkehrten. 

Die Mehrheit der 2,4 Millionen Einwohner des Gazastreifens ist seit dem Beginn des Krieges, der durch den Großangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 ausgelöst worden war, innerhalb des Gazastreifens auf der Flucht, viele von ihnen bereits mehrfach.

Karte: Gazastreifen, dunkle Flächen: besiedelte Gebiete, Schraffur: militärische Aktivitäten Israels

Dunkle Flächen: besiedelte Gebiete, Schraffur: militärische Aktivitäten Israels

Hamas nennt Rückkehr "Sieg für unser Volk"

Die Rückkehr von Bewohnern in den Norden des Gazastreifens ist Teil der zwischen Israel und der Hamas ausgehandelten Waffenruhe. Zu Beginn des Gaza-Krieges hatte Israel die Bewohner zum Verlassen der Gegend aufgefordert. Eine Million Palästinenser flohen damals in einem ähnlichen Marsch in entgegengesetzter Richtung in den Süden des Gazastreifens und lebten dort zumeist in Zeltlagern.

Die Hamas nannte die Rückkehr in den Norden einen "Sieg für unser Volk". Israel hingegen sei mit seinen Plänen gescheitert, das Gebiet besetzt zu halten und Palästinenser umzusiedeln. Der israelische Verteidigungsminister Israel Katz teilte auf der Plattform X mit, seine Regierung werde dafür sorgen, dass die Vereinbarung über die Waffenruhe auch eingehalten werde. Jeder, der sie verletze oder die israelischen Truppen bedrohe, werde dafür bezahlen, schrieb er.

Palästinenser kehren mit ihrem Gepäck vom Süden in den Norden des Gazastreifens zurück.

Palästinenser kehren mit ihrem Gepäck vom Süden in den Norden des Gazastreifens zurück.

Samstag weitere Gespräche über Gazastreifen

Die Rückkehr der Palästinenser in den Norden hatte sich um zwei Tage verzögert, weil es zwischen Israel und der Hamas Unstimmigkeiten über die Reihenfolge der freizulassenden Geiseln gegeben hatte. Frei kamen am Samstag vier israelische Soldatinnen und keine Zivilistinnen.

Israel forderte konkret, dass die Hamas-Geisel Arbel Jehud freigelassen werden solle. Vermittler Katar teilte in der Nacht zum Montag mit, dass eine Einigung erzielt worden sei. Demnach soll die Frau gemeinsam mit zwei weiteren Geiseln noch im Laufe der Woche freikommen. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu teilte mit, die zusätzliche Geiselfreilassung werde am Donnerstag stattfinden. Auch eine israelische Soldatin soll demnach am Donnerstag freikommen.

Netanjahu reist in die USA

Israels weiteres Vorgehen in der Region und die Zukunft des Gazastreifens dürfte auch Thema eines Treffens zwischen Israels Premier Benjamin Netanjahu und dem neuen US-Präsidenten Donald Trump sein. Die israelischen Medien melden, dass Netanjahu am Samstagabend in die USA reist.

Trump hatte vorgeschlagen, die Palästinenser im Gazastreifen vollständig nach Ägypten und Jordanien umzusiedeln. Das sorgte heute weiter für Kritik. Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas sagte am Montag am Rande eines Außenministertreffens in Brüssel, die Menschen im Gazastreifen hätten bereits sehr viel gelitten und verdienten ebenso wie die Israelis Frieden. Die EU trete deshalb weiter für eine Zweistaatenlösung ein. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas, Jordanien und Ägypten hatten bereits zuvor abgewunken.

Julio Segador, ARD Tel Aviv, tagesschau, 27.01.2025 11:55 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 27. Januar 2025 um 15:00 Uhr.