Putin-Kritiker Nadeschdin "Hinter mir stehen Hunderttausende Bürger"
Stimmen die Umfragen, käme er bei der russischen Präsidentschaftswahl auf den Platz direkt hinter Amtsinhaber Putin: Kriegsgegner Nadeschdin. Allerdings wird er wohl nicht antreten - die Wahlkommission hat ihn ausgeschlossen.
9.147 - das ist eine recht hohe Zahl, aber sie bedeutet in diesem Fall fast null für Boris Nadeschdin. Denn der Gegner des Krieges gegen die Ukraine hat damit kaum eine Chance mehr, bei der für März angesetzten Präsidentschaftswahl in Russland anzutreten. Denn 9.147 Unterschriften seien fehlerhaft - das jedenfalls hat die Zentrale Wahlkommission Russlands jetzt offiziell verkündet.
"Gestützt auf Artikel 39 des Gesetzes der Russischen Föderation über die Wahl des Präsidenten der Russischen Föderation schlagen wir vor, Nadeschdin Boris Borisowitsch die Registrierung als Kandidat für das Amt des Präsidenten der Russischen Föderation zu verweigern", teilte die Behörde mit.
Für Waffenstillstand und Friedensverhandlungen mit der Ukraine
Fast 105.000 Unterschriften hatte Nadeschdin der Wahlkommission in Moskau übergeben; 60.000 davon wurden geprüft. Und mehr als fünf Prozent, eben jene 9.147 seien ungültig. So seien beispielsweise elf Unterschriften Menschen zugeordnet worden, die verstorben seien, sagt die Wahlkommission.
Im Unterschied zu den vier bisher zugelassenen Kandidaten - unter ihnen auch Amtsinhaber Präsident Wladimir Putin - hat der 60-jährige Nadeschdin ein klares Alleinstellungsmerkmal: Er kritisiert den Krieg gegen die Ukraine. Außerdem trat er bei seinen Auftritten für einen umgehenden Waffenstillstand ein - und für Friedensverhandlungen. Am ersten Tag seiner Amtszeit wollte er darüber hinaus alle politischen Gefangenen in Russland freilassen.
Schriftlich ließ Nadeschdin nach der Erklärung der Kommission verbreiten: "Ich bin mit der Entscheidung nicht einverstanden. Ich habe in ganz Russland mehr als 200.000 Unterschriften gesammelt. Wir führten die Sammlung offen und ehrlich durch - die ganze Welt beobachtete die Warteschlangen an unseren Stäben und Sammelstellen." Außerdem kündigte Nadeschdin an, beim Obersten Gerichtshof der Russischen Föderation Einspruch gegen die Entscheidung der Wahlkommission einzulegen. Die Chance, dass das Gericht dem stattgibt, ist aber gering.
In den Umfragen auf Platz zwei
Während der Anhörung in der Wahlkommission äußerte sich Nadeschdin ebenfalls: "Man muss verstehen: Jetzt stehe hier nicht ich. Hinter mir stehen Hunderttausende russische Bürger, die für mich eine Unterschrift geleistet haben. Hunderttausende! Hier sind jetzt Dutzende Millionen Menschen, die für mich stimmen würden. Allen Umfragen zufolge liege ich auf dem zweiten Platz nach Putin, zweistellige Ergebnisse sind das - das sind Dutzende Millionen Menschen, die für uns stimmen wollen. Und Sie erzählen mir etwas von elf verstorbenen Menschen."
Tatsächlich: In den jüngsten Umfragen, die wegen der Einschränkung der Meinungsfreiheit in Russland mit einer gewissen Vorsicht betrachtet werden müssen, wäre Nadeschdin bei der Wahl nach Präsident Putin auf den zweiten Platz gekommen. Putin könnte den Umfragen zufolge mit mehr als 60 Prozent der Stimmen rechnen, Nadeschdin hätte knapp acht Prozent erhalten.
Umstritten ist, ob Nadeschdin als überzeugter Oppositionskandidat antreten wollte oder ob er von der Präsidialverwaltung geduldet oder installiert wurde. Denn: Wenn es einen Kandidaten gäbe, der in Sachen Ukraine grundsätzlich anderer Meinung wäre als Präsident Putin, hätte die Wahl etwas demokratisches. Dass Putin auch der neue Präsident wird, gilt als unstrittig. Proteste gegen den Krieg werden umgehend unterbunden, Kritiker hart bestraft. Nadeschdin war bisher eine Ausnahme. Allerdings wurden seine Auftritte mehr von westlichen Medien beachtet als von russischen.