Interview mit Nato-Politiker Koenders "Wir brauchen mehr Isaf-Soldaten für Afghanistan"
„Es geht nicht, dass 26 Länder den Afghanistan-Einsatz beschließen und sich dann nur ein paar daran beteiligen“, sagt der Niederländer Bert Koenders. Auch andere Länder müssten mehr Truppen stellen, fordert der Nato-Politiker im Interview mit tagesschau.de. Vom Gipfel in Riga erwartet Koenders jedoch wenig Ergebnisse.
"Es geht nicht, dass 26 Länder den Afghanistan-Einsatz beschließen und sich daran nur ein paar von ihnen daran beteiligen", sagt der niederländische Politiker Bert Koenders. Sein Land hat seine Isaf-Truppen deutlich aufgestockt - andere müssten folgen, fordert er. Dem Bündnis-Gipfel in Riga, an dem Koenders als Vorsitzender der parlamentarischen Versammlung der Nato teilnimmt, sieht er jedoch sehr skeptisch entgegen.
tagesschau.de: Die Niederlande sind dem Ruf der Nato gefolgt und haben im August zusätzliche Soldaten in den Süden geschickt - nach großer Diskussion im Lande. Wie sehen Sie diese Entscheidung heute?
Koenders: Das war der richtige Beschluss. Wir haben ihn als Opposition im Parlament unterstützt und tun das auch weiterhin.
Seit August 2006 stellen die Niederlande im Süden Afghanistan in der Provinz Uruzgan eine militärischen Eingreiftruppe und ein regionales Wiederaufbauteam. Zuvor waren die Niederlande nur am Wiederaufbau im Norden beteiligt. Die 1400 Niederländer in Uruzgan sind auf zwei Standorte verteilt und mit Panzerfahrzeugen, Artillerie, F-16-Kampfflugzeugen und Apache-Hubschraubern ausgerüstet und wurden bereits mehrfach in Gefechte verwickelt. Von November 2006 bis Mai 2007 stellen die Niederlande den Isaf-Kommandeur für die Südprovinzen.
tagesschau.de: Denkt das auch die Bevölkerung, nachdem die niederländischen Isaf-Truppen mehrfach in Gefechte verwickelt wurden?
Koenders: Das weiß ich nicht. Wir haben nicht jeden Tag eine Meinungsumfrage dazu. Aber wir haben beim Parlamentsbeschluss zum Einsatz gewusst, dass die Soldaten immer auch Risiken eingehen müssen. Sie sind auch dazu da, um zu kämpfen. Unser Parlamentsbeschluss legt fest, dass das wichtigste die Balance des Einsatzes ist - zwischen offensiven Sicherheitsoperationen einerseits und dem Wiederaufbau und dem Bemühen um politische Lösungen andererseits.
tagesschau.de: Wer die aktuellen Berichte aus Afghanistan verfolgt, gewinnt aber den Eindruck, dass die Lage trotzdem wieder deutlich gefährlicher wird.
Koenders: Es ist natürlich gefährlich, aber nicht so gefährlich, wie das in den deutschen Medien vielleicht erscheinen mag. Es gibt Fortschritte, bei Aufbau der Infrastruktur, bei der Bewässerung und anderem. Die Situation ist aber so, dass noch mehr Soldaten benötigt werden, um den Wiederaufbau im Land zu sichern.
tagesschau.de: Wer soll diese Soldaten schicken? Die Bundesregierung?
Koenders: Die Nato geht davon aus, dass rund zusätzliche 2000 Soldaten benötigt werden. Das ist eine allgemeine Anfrage, die sich an alle Mitgliedsstaaten richtet - nicht nur an Deutschland. Deutschland leistet beim Wiederaufbau im Norden Afghanistan gute Arbeit. Generell sollte es aber so sein, dass die zur Verfügung stehenden Soldaten überall im Land eingesetzt werden können – nicht nur an bestimmten Standorten.
Seit 1965 gibt es die Parlamentarische Verammlung der Nato, in der Abgeordnete aus den nationalen Parlamenten der Mitgliedsländer sicherheitspolitische Fragen diskutieren. Die Versammlung ist unabhängig von der eigentlichen Nato, soll aber für eine Verbindugn zwischen den Parlamenten und dem Bündnis sorgen. Das Gremium trifft sich zweimal jährlich.
tagesschau.de: Muss der Einsatzauftrag der Isaf klarer definiert werden?
Koenders: Nein, es gibt es eine klaren Auftrag und auch eine klare Arbeitsteilung mit der US-geführten Operation Enduring Freedom, die für die Jagd auf Taliban-Kämpfer und Terroristen zuständig ist. Die Isaf soll für Sicherheit sorgen und den Wiederaufbau sorgen, um die Köpfe und Herzen der Afghanen zu gewinnen. Aber dafür benötigt die Nato noch mehr Truppen.
tagesschau.de: Und wenn sich niemand findet, der diese zusätzlichen Soldaten schickt?
Koenders: Es geht natürlich nicht, dass 26 Länder im Nato-Rat einen Beschluss fassen, und sich dann nur ein paar von ihnen an der Ausführung beteiligen. Wenn das so bleibt, wird in Ländern, die sich bereits beteiligten, natürlich die Unterstützung in der Bevölkerung schwinden.
tagesschau.de: Was erwarten Sie vom Nato-Gipfel in Riga?
Koenders: Ich fahre als Vertreter der parlamentarischen Versammlung selbst hin, bin aber skeptisch. Ich glaube, dass in Riga nur noch einmal offiziell fürs Kommunique beschlossen wird, die Nato-Truppen besser auszubilden. Ich sehe keine großen Fortschritte bei den Punkten, die jetzt gefragt wären - also darüber, dass auch von den Mitgliedsstaaten 100 Prozent der benötigten Truppen bereitgestellt werden, wie verhindert wird, dass einzelne Staaten sich abseits halten, dass es eine bessere Balance zwischen offensiven Militäraktionen und Wiederaufbau gibt, dass die Nato in Afghanistan ein besseres Verhältnis zu den Vereinten Nationen aufbaut und eine kritischere Haltung gegenüber Pakistan einnimmt. Zu all diesen Dingen müssten Entscheidungen getroffen werden. Ich bin aber sehr skeptisch, da zu wenig politischer Druck besteht.
Die Fragen stelle Fiete Stegers, tagesschau.de.
Bert Koenders, Parlamentsabgeordneter, ist Außen- und Verteidigungsexperte der niederländischen Sozialdemokraten. Seit November 2006 ist er Vorsitzender der parlamentarischen Versammlung der Nato.