Israel Was die zerstrittene Regierung zusammenhält
Tut sich etwas in der israelischen Regierung? Heute will sich Netanyahu-Rivale Gantz zu seiner Zukunft im Kriegskabinett äußern. Beobachter rechnen mit einem Rücktritt.
Kabinettsdisziplin ist ein Wort, das in Israel nicht sehr verbreitet zu sein scheint. Wo sonst äußert sich ein Minister so über seine Regierungskollegen: "Wenn der Premierminister Gantz, Eisenkot und Gallant entlassen würde, wäre das ein großer Gewinn für diese Regierung. Die Regierung wäre dann noch stabiler als zuvor." Der, der die Entlassung anderer Minister fordert, ist Israels rechtsextremer Minister für Nationale Sicherheit Itamar Ben Gvir. Ein kollegialer Ton klingt anders.
Israels Regierung gleicht einem vielstimmigen Chor. Und Rechtsaußen Ben-Gvir genießt es, immer wieder Öl ins Feuer zu gießen. Doch er ist nicht der einzige. Finanzminister Bezalel Smotrich reiht sich hier ein. Mal fordert er die Ausweitung des Krieges auf das besetzte Westjordanland, mal warnt er Premier Benjamin Netanyahu davor, im Gaza-Krieg zu viele Zugeständnisse zu machen. "Sollte sich - Gott behüte - die Regierung entscheiden, diese Kapitulation anzunehmen, werden wir aus der Regierung austreten", sagte Smotrich zuletzt. "Ich sage dem Premierminister: Für den entschiedenen Sieg werden wir an Ihrer Seite stehen, aber für den Fall, dass Sie die Kapitulation wählen sollten, werden wir mit aller Kraft gegen Sie vorgehen."
Gantz droht mit Austritt aus Kriegskabinett
Es sind vor allem die beiden Rechtsaußen-Politiker Smotrich und Ben-Gvir, die in der Regierungskoalition den aggressiven Ton setzen. Um Regierungschef zu werden, musste Netanyahu die rechten Hardliner ins Kabinett holen. Ben-Gvir ist ein mehrfach verurteilter Straftäter und Anhänger eines jüdischen Rassismus, des sogenannten Kahanismus.
Benny Gantz, seit Kriegsbeginn im Kriegskabinett, mahnt ihn, sich von diesen Leuten zu distanzieren. "Wenn Sie das Nationale über das Persönliche stellen, werden Sie uns als Partner sicher haben. Aber wenn Sie den in den Abgrund führenden Weg der Kahanisten wählen, werden wir uns gezwungen sehen, die Regierung zu verlassen."
Mitte Mai hatte Gantz mit seinem Rücktritt gedroht, sollten Netanyahu und seine rechtsreligiöse Regierung bis zum 8. Juni keinen Nachkriegsplan für den Gazastreifen vorlegen. Für den frühen Abend hat Gantz zu einer Pressekonferenz eingeladen. Beobachter werten dies als Zeichen für einen bevorstehenden Rücktritt.
Der Ex-Verteidigungsminister und frühere Armeechef hatte nach dem Großangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober die Oppositionsrolle zurückgestellt und war dem israelischen Kriegskabinett von Netanyahu als Minister ohne Ressort beigetreten.
Umfragen zufolge hätte Gantz gute Chancen, Netanyahu im Amt abzulösen, sollte die Regierung auseinanderbrechen und es zu vorgezogenen Neuwahlen kommen.
Netanyahus Trick
Und noch einer spricht Klartext: Verteidigungsminister Yoav Gallant. Er war eigentlich schon entlassen. Doch es fand sich kein Nachfolger. Dann kam der Krieg. Gallant ist inzwischen ein Schwergewicht in der Regierung, der seinem Chef deutliche Worte entgegenbringt: "Für die Zukunft des Staates müssen wir schwere Entscheidungen treffen, indem wir nationale Interessen über alles andere stellen, auch wenn das einen persönlichen oder einen politischen Preis einschließt."
Netanyahu selbst scheint nicht daran zu denken, einen politischen Preis zu zahlen. Er sitzt alles aus. Die Diskussionen in seinem Kabinett, den Druck aus dem Ausland, die monatelangen Proteste in Israel. Der Politfuchs, der länger als jeder andere in Israel an der Macht war, ignoriert als Dirigent der Regierung seinen vielstimmigen Kabinettschor - und macht am Ende doch sein eigenes Ding. "Es gibt jene, die zu allem Ja sagen, wenn sie eigentlich Nein sagen müssten. Dafür gibt es Beifall aus dem Ausland. Es gefährdet aber unsere nationale Sicherheit", glaubt er. "Und es gibt jene, die zu allem Nein sagen und dafür im Inland Beifall erhalten. Aber auch sie gefährden lebenswichtige Interessen", sagt der Premier.
Mein Trick besteht darin, zu wissen, wie man navigiert. Ja zu sagen, wenn es möglich ist, und Nein zu sagen, wenn es nötig ist.
Und so ist der Machterhalt der möglicherweise einzige gemeinsame politische Nenner dieser Regierung. Dies dürfte noch länger so bleiben.