Interview

Abkommen zur Urananreicherung "Iran zeigt sich erstmals kompromissbereit"

Stand: 17.05.2010 16:55 Uhr

Kompromiss in letzter Minute: Der Iran hat sich bereit erklärt, Teile seines Urans im Ausland anreichern zu lassen. Dass das nicht reines Taktieren, sondern ein wichtiger Schritt ist, erläutert Henner Fürtig von GIGA, dem Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien, im Interview mit tagesschau.de.

tagesschau.de: Herr Fürtig, meint es Iran mit dem heute unterzeichneten Abkommen ernst - oder ist die Vereinbarung nicht das Papier wert, auf dem sie steht?

Henner Fürtig: Nein, ich glaube es ist Bewegung in die Sache gekommen. Besonders wenn man berücksichtigt, wie viel hin und her es in den letzten eineinhalb Jahren gegeben hat. Iran hat sich immer gescheut, eine konkrete Vereinbarungen zu unterzeichnen. Stattdessen hat das Land die Westmächte und vor allem den UN-Sicherheitsrat hingehalten. Diesmal liegt tatsächlich ein Abkommen vor. Es ist von Präsident Mahmud Ahmadinedschad und dem Obersten Revolutionsführer gebilligt - den höchsten Instanzen des Irans. Von dieser Vereinbarung kann man sich jetzt nicht mehr so leicht lösen, insofern ist doch Bewegung in den Atomstreit gekommen.

Henner Fürtig
Zur Person
Prof. Dr. Henner Fürtig ist Direktor des GIGA Instituts für Nahost-Studien in Hamburg. Er erforscht unter anderem die politische und soziale Transformation in arabischen Kernstaaten. Eines seiner aktuellen Projekte lautet: "'Pariastaaten und Sanktionen' - Iran: das weltanschauliche Gegenmodell."

tagesschau.de: Das heißt, der Druck der Vereinten Nationen hat doch Wirkung gezeigt?

Fürtig: Das stimmt, vor allem ist sichtbar geworden, dass China und Russland, die sich bisher bei Sanktionen etwas zurückgehalten haben, offensichtlich ihre Meinung geändert haben. Diesmal wollten sie sich an Sanktionen härterer Art beteiligen. Und dies hat im Iran große Sorgen ausgelöst. Die Folge können wir jetzt sehen.

"Ein großes politisches Ereignis"

tagesschau.de: Was ist dadurch gewonnen, dass das Uran nun im Ausland angereichert wird?

Fürtig: Iran hat sich zum ersten Mal von seiner harten Position verabschiedet. Stattdessen hat das Land einem Kompromiss zugestimmt. Dies ist ein großes politische Ereignis. Nun erfolgt nicht mehr der gesamte Kreislauf der Urananreicherung in der Islamischen Republik selbst. Stattdessen findet ein Großteil im Ausland statt. Ich glaube, dass damit ein neuer Weg eingeschlagen ist.

tagesschau.de: Lässt sich so besser kontrollieren, was Iran mit seinem Atomprogramm treibt?

Fürtig: Ich denke schon. Denn durch die Anreicherung im Ausland kann man sich nun auch einen ungefähren Überblick verschaffen, über welche Mengen an angereichertem Uran das Land überhaupt verfügt.

"In dieser Frage scheiden sich die Geister"

tagesschau.de: Wie glaubhaft ist es, dass das Material, wenn es zurück in den Iran kommt, tatsächlich nur für die medizinische Forschung eingesetzt wird?

Fürtig: Nun in dieser Frage scheiden sich natürlich die Geister. Aber auch bislang wurde häufig bezweifelt, ob das im Land selbst angereicherte Material tatsächlich für die medizinische Forschung eingesetzt wird. Ich glaube aber, dies ist zunächst nur eine zweitrangige Frage. Wichtig ist, dass es jetzt endlich einen Durchbruch gibt und dass Iran sich bewegt hat. Wie das Material verwendet wird, müssen weitere Kontrollen zeigen.

U. Pick, ARD Istanbul, 17.05.2010 18:03 Uhr

tagesschau.de: Wie kommt es, dass es nun nach dem jahrelangen Gezerre ein Durchbruch erzielt werden konnte?

Fürtig: Der bisher größte Druck ging bislang von den ständigen Sicherheitsratsmitgliedern und Deutschland aus. Dennoch hat sich in den letzten Monaten nicht viel bewegt. Erst der Meinungsschwenk von China und Russland hat entscheidend dazu beigetragen, dass Iran sich bewegt hat.

tagesschau.de: Wie kommt es, dass ausgerechnet Brasilien und die Türkei diesen Kompromiss ausgehandelt haben?

Fürtig: Präsident Ahmadinedschad hat unmittelbar nach der Unterzeichnung betont, dass das Abkommen ein Schlag gegen die Dominanz der Hegemonialmächte dieser Welt sei. Er hat also ganz klar gezeigt, dass der Iran eine neue Kräftekonstellation in der internationalen Politik ausmacht und aufstrebenden Führungsmächten wie Brasilien wesentlich mehr zutraut als den traditionellen Hegemonialmächten. Das ist ein interessanter Aspekt. Iran will da zu beitragen, dass diese Verschiebung im Kräftegleichgewicht tatsächlich sichtbar wird.

"Ahmadinedschad brauchte einen Erfolg"

tagesschau.de: Das iranische Staatsfernsehen feiert die Vereinbarung als großen Erfolg. Wie geht es jetzt weiter im Atomstreit?

Fürtig: Von diesem Vertrag wird man nicht wieder Abstand nehmen können. Es wird also in den nächsten Wochen und Monaten tatsächlich schwach angereichertes Uran in die Türkei gebracht werden, wo es dann weiter angereichert wird. Wichtig für Iran ist, dass die angedrohten Sanktionen zunächst auf Eis liegen. Das Land hat damit an Spielraum gewonnen. Das ist vor allem für die iranische Innenpolitik ganz wichtig. Schließlich ist Präsident Ahmadinedschad stark angeschlagen. Zudem jährt sich in wenigen Wochen seine umstrittene Wiederwahl, weshalb große innenpolitische Unruhen erwartet werden. Ahmadinedschad brauchte einen Erfolg, und den kann er jetzt zumindest in dieser Frage vorweisen.

Das Interview führte Stefan Keilmann für tagesschau.de