Interview zur Lage in Kundus "Die Bundeswehr genießt hohes Ansehen" (10.01.2007)
Innenpolitisch ist der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan umstritten - doch vor Ort bauen die Menschen auf die Deutschen. Denn die Afghanen vertrauen eher ihnen als ihren eigenen Sicherheitskräften, sagte der Journalist Ahmad Nawid im Interview mit tagesschau.de.
Innenpolitisch ist der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan umstritten - doch vor Ort bauen die Menschen auf die Deutschen. Denn die Afghanen vertrauen eher ihnen als ihren eigenen Sicherheitskräften, sagte der Journalist Ahmad Nawid im Interview mit tagesschau.de.
tagesschau.de: Am Freitag entscheidet der Bundestag über die Verlängerung des Bundeswehr-Einsatzes in Afghanistan. Was ist Ihr Rat an die Abgeordneten?
Nawid: Ich als Afghane kann nur dazu raten, den Einsatz zu verlängern. Die Existenz der Bundeswehr in Kundus ist sehr wichtig für uns Afghanen. Als Journalist habe ich mit vielen Menschen darüber gesprochen und alle sagen, dass die Aufständischen die Anwesenheit der Bundeswehr fürchten. Sie verhindert, dass die Aufständischen aktiv werden. Die Menschen fühlen sich durch die Anwesenheit der Deutschen sicher.
tagesschau.de: Die Bundeswehr genießt also ein gutes Ansehen in der Bevölkerung?
Nawid: Ja, sie genießt ein hohes Ansehen. Ich selber arbeite seit über einem Jahr mit der Bundeswehr als Journalist zusammen, außerdem habe ich auch immer wieder als Übersetzer für sie gearbeitet. Die Bevölkerung achtet die Bundeswehr, gerade im Vergleich mit anderen ausländischen Kräften, wie den US-Amerikanern. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Deutschen sich nicht in die Privatsphäre der Afghanen einmischen. So gibt es beispielsweise keine Hausdurchsuchungen. Die Deutschen patrouillieren in den Straßen und halten sich in ihrem Camp auf, das außerhalb der Stadt liegt.
tagesschau.de: Hat sich das Ansehen der Bundeswehr geändert, ist das Selbstmordattentat im Mai, bei dem ja auch deutsche Soldaten und afghanische Zivilisten getötet wurden, ein Zeichen für eine Stimmungsänderung?
Nawid: Nein, das Attentat ist mittlerweile fünf Monate her. In der ersten Woche nach dem Bombenattentat vertraten viele Menschen die Meinung, dass sich die Soldaten nicht mehr auf der Straße sehen lassen sollten – gerade die belebten Plätze und Einkaufsstraßen sollten sie meiden. Dieser Meinung waren viele Geschäftsinhaber, mit denen wir gesprochen haben. Sie sagten: Die Soldaten sollen jemanden zum Einkaufen schicken, aber nicht selber herkommen. Die Angst vor neuen Anschlägen und vor vielen toten Afghanen war groß. Aber mittlerweile hat sich die Lage wieder normalisiert, sie ist wieder so wie vor dem Anschlag. Die Bundeswehrsoldaten sind zu Fuß in der Stadt unterwegs, zu zweit, zu dritt – das ist wieder ganz normal.
tagesschau.de: Die Hauptaufgabe der Isaf-Truppen ist ja, die Lage in Afghanistan zu stabilisieren und für Sicherheit zu sorgen. Funktioniert das?
Nawid: In den vergangenen Jahren hat sich die Situation stark verändert. Die Menschen fühlen sich sicherer, denn in die afghanische Polizei und in die Sicherheitskräfte haben sie kein Vertrauen. Viele Leute fürchten die afghanischen Sicherheitskräfte, sie arbeiten teilweise schon seit Jahren als Polizisten. Die Menschen vertrauen eher der Bundeswehr als ihnen.
tagesschau.de: Die Lage für die Menschen ist sicherer geworden, sagen sie. Wirkt sich das auch auf Ihre Arbeit als Journalist aus? Haben Sie ungehinderten Zugang zu Informationen oder gibt es Einschränkungen?
Ahmad Nawid: Wir können gut arbeiten und haben auch Zugang zu Informationen. Manchmal versuchen einzelne Politiker zwar, uns von den Informationen abzuschneiden, aber das ist die Ausnahme. Ich habe noch nie gehört, dass ein Journalist ernsthafte Probleme bekommen hat. Die Situation ist ganz gut.
tagesschau.de: Woher bekommen Sie Ihre Informationen?
Nawid: Das hängt vom Thema ab. Kundus ist keine große Stadt, wir rufen die Leute einfach an oder gehen zu ihnen hin. Das dauert manchmal etwas, da niemand einen offiziellen Pressesprecher hat und wir die Leute immer direkt ansprechen müssen. Das ist mitunter etwas schwierig.
Das Interview führte Matthias Stelte, tagesschau.de