Interview zur Lage nach Attentat auf Hassan "Syriens Bürgerkrieg könnte auf Libanon übergreifen"
Auch wenn die syrische Regierung offiziell den Anschlag auf den libanesischen Geheimdienstchef Hassan verurteilt - so weint ihm in Damaskus doch niemand eine Träne nach, sagt ARD-Korrespondent Thomas Stephan im Interview. Das Attentat drohe nun, alte Gräben im Libanon wieder aufzureißen.
tagesschau.de: Am vergangenen Freitag wurde der Chef des Polizei-Geheimdienstes, Wissam al Hassan, bei einem Bombenanschlag getötet. Er galt als Syrien-Kritiker. Weiß man inzwischen, wer hinter dem Attentat steckt?
Thomas Stephan: Das weiß man nicht. Es gibt nach wie vor keine eindeutigen Erkenntnisse. Und so lange keine eindeutigen Erkenntnisse da sind, darf eben auch heftig spekuliert werden. Eines ist sicher: Hassan hatte viele Feinde. Für die Opposition ist dagegen ganz klar Syrien der Drahtzieher, denn der Geheimdienst-General war Sunnit und erklärter Assad-Gegner. Zuletzt hatte er den pro-syrischen ehemaligen Informationsminister Samaha festnehmen lassen. Angeblich gab es Pläne für Bombenattentate.
Aber auch die schiitische Hisbollah spielt eine große Rolle im Libanon. Sie war auch nicht gut auf Hassan zu sprechen, denn er hatte Hinweise darauf gegeben, dass die Hisbollah der verlängerte Arm des Assad-Regimes ist und auch vom Iran unterstützt wird. Der Geheimdienst-General vermutete außerdem, dass die Hisbollah auch beim tödlichen Anschlag auf den früheren libanesischen Ministerpräsidenten Rafik Hariri im Jahr 2005 die Finger im Spiel hatte. Viele haben in Hassan einen Schutzpatron der Assad-Gegner gesehen und vielleicht war das allein schon Grund genug, ihn mit einem Anschlag zu beseitigen.
"Für Syrien war Hassan ein unbequemer Gegenspieler"
tagesschau.de: Welches Interesse könnte Syrien gehabt haben, Hassan zu beseitigen?
Stephan: Für Syrien war Hassan ganz sicher ein unbequemer Gegenspieler. Die Ermittlungen gegen pro-syrische Libanesen könnten natürlich die Interessen Syriens beschädigt haben. Spekuliert wird auch darüber, ob der Geheimdienstchef nicht vielleicht sogar dafür gesorgt hat, dass über den Libanon Waffen an die Aufständischen geliefert wurden. Hassan war Sunnit, und die sunnitische Seite im Libanon wird von Saudi-Arabien und den USA unterstützt. Man hat bei den syrischen Aufständischen auch Waffen saudischer Herkunft gefunden. Ein Zusammenhang wäre denkbar. Das ist allerdings nur eine mögliche Spur. Sicher ist: Das syrische Regime hat zwar offiziell beteuert, dass man nichts mit dem Anschlag zu tun habe, aber es wird Hassan sicherlich keine Träne nachweinen.
tagesschau.de: Die Wut der Demonstranten im Libanon richtet sich nicht nur gegen die syrische Regierung, sondern auch gegen die Machthaber im eigenen Land. Warum?
Stephan: Das Land befindet sich momentan in einer ganz schweren Zerreißprobe. Der Libanon ist eine multireligiöse Gesellschaft. Es gibt die beiden muslimischen Glaubensgruppen der Sunniten und Schiiten sowie Drusen und Christen. In den vergangenen Jahren ist es nur sehr mühevoll gelungen, die Gräben zwischen diesen Gruppen nicht weiter aufreißen zu lassen. Und nun drohen diese Gräben doch vertieft zu werden. Die Gefahr ist tatsächlich da, dass das in einem Chaos enden könnte und es gibt natürlich auch einen Bezug zu dem Bürgerkrieg in Syrien.
Der Libanon befindet sich momentan in einer ganz schweren Zerreißprobe, so Thomas Stephan.
"Ein Import des syrischen Bürgerkriegs droht"
tagesschau.de: Wie eng sind die Verflechtungen zwischen beiden Ländern?
Stephan: Jahrelang war Syrien die Macht, die im Libanon geherrscht hat und regiert hat. Seit dem Abzug der syrischen Truppen 2005 ist das Land gespalten. Die sunnitische Bevölkerungsgruppe unterstützt die Aufständischen gegen den syrischen Präsidenten Assad. Die schiitische Bevölkerungsgruppe auf der anderen Seite und deren politischer Arm, die Hisbollah-Bewegung, stehen eindeutig hinter dem Assad-Regime. Die Hisbollah dominiert auch die derzeitige Regierung unter Ministerpräsident Mikati. Das erklärt, warum die Opposition nun deren Rücktritt fordert. Ich glaube, man kann sagen, dass ein Import des syrischen Bürgerkriegs droht, denn schon vor dem Attentat auf Hassan hatte es bewaffnete Auseinandersetzungen im Norden des Landes zwischen Assad-Anhängern und -Gegnern gegeben.
tagesschau.de: Ist damit zu rechnen, dass es zum Sturz der libanesischen Regierung kommt?
Stephan: Die Regierung wurde ja durch Präsident Michel Suleiman aufgefordert, im Amt zu bleiben, obwohl sie ihren Rücktritt angeboten hatte. Man befürchtet derzeit ein Machtvakuum, falls die Regierung abtreten würde. Dann wäre die Entwicklung möglicherweise nicht absehbar. Um das zu vermeiden, bleibt diese Regierung im Amt.
"Das Militär ist ein Stabilitätsfaktor"
tagesschau.de: Welche Rolle spielt die libanesische Armee?
Stephan: In dieser fragilen Situation kommt dem Militär eine ganz entscheidende Rolle zu. Es hat die politischen Führer im Land aufgerufen, nicht weiter durch öffentliche Äußerungen Öl ins Feuer zu gießen. Zudem ist es der Armee anscheinend bisher gelungen, hart durchzugreifen und Straßenblockaden aufzulösen. Das Militär ist ein Stabilitätsfaktor.
tagesschau.de: Auf welche anderen Länder könnte der Syrien-Konflikt möglicherweise noch übergreifen?
Stephan: Die gesamte Region leidet unter dem syrischen Bürgerkrieg. In der Türkei und in Jordanien, in allen Anrainerstaaten gibt es eine hohe Zahl von syrischen Flüchtlingen. Die Vereinten Nationen haben offiziell 330.000 Menschen aus Syrien registriert, die in die Nachbarländer geflohen sind. Das destabilisiert diese Länder, und es belastet sie auch wirtschaftlich. Wenn der Bürgerkrieg tatsächlich über weitere Attentate - von welcher Seite auch immer - exportiert wird, dann droht tatsächlich die Gefahr eines Flächenbrandes. Davor hat ja auch der UN-Sondergesandte Lakhdar Brahimi zuletzt gewarnt. Diese Gefahr ist tatsächlich da.
Das Interview führte Gisela Former für tagesschau.de.