
Verfassungsänderung Ungarn kann nun Pride-Paraden verbieten
Das ungarische Parlament hat eine Verfassungsänderung beschlossen. Damit können unter anderem Veranstaltungen der LGBTQ-Gemeinschaft - wie Pride-Paraden - künftig verboten werden. Menschenrechtler üben Kritik.
Die proeuropäische Partei Momentum ruft zur Blockade auf, die ebenfalls oppositionelle DK bekundet ihre Solidarität. Rund hundert Demonstranten sind zu sehen, auch die ein oder andere EU-Flagge. Zu hören sind zudem Parolen wie "Versammlung ist Grundrecht" und auch Musik. "Schmutzige Zeiten" heißt es in einer Liedzeile. Dann: Polizisten, die Ausweise kontrollieren, Sitzblockaden auflösen, Menschen wegdrängen.
Montagnachmittag vor dem Parlament in Budapest - der Stadt, in der schon am Wochenende Tausende unter dem Slogan "Gray Parade" gegen ein Verbot der farbenfrohen "Gay Parade" protestiert hatten. Ein Zeichen gegen die aus ihrer Sicht düstere, depressiv machende Politik der rechtspopulistischen Regierung von Ministerpräsident Viktor Orban.

Statt bunter Farben dominiert die Farbe Grau: Mit der "Gray Parade" protestieren die Teilnehmenden gegen die Politik der ungarischen Regierung.
Doch die zeigt sich von all dem erwartungsgemäß unbeeindruckt. Mit ihrer komfortablen Zwei-Drittel-Mehrheit hat die Fidesz-KNDP-Koalition am frühen Abend eine weitreichende der Verfassung - des ungarischen Grundgesetzes - beschlossen, die die Abgeordneten von Momentum und DK selbst bei Anwesenheit im Parlament nicht hätten verhindern können. Und die nicht nur von den anwesenden Demonstrierenden als weiterer Angriff auf die Demokratie gedeutet wird.
Orban-Regierung beruft sich auf den Kinderschutz
Denn mit Zusatz Nummer 15 in der einst von ihr selbst erarbeiteten Verfassung kann die Regierung Pride-Paraden und ähnliche Veranstaltungen verbieten - das schon vor rund einem Monat im Eilverfahren verabschiedete Gesetz hat nun eine Grundlage.
Dabei berufen sich die Rechtspopulisten erneut auf den Kinder- und Jugendschutz: Schon seit 2021 darf Minderjährigen keinen Zugang gewährt werden zu Büchern, Filmen und anderen Medien, in den Homosexualität oder alternative Familienmodelle thematisiert werden. Laut Grundgesetz ist der Vater ein Mann und die Mutter eine Frau. Gleichgeschlechtliche Paare dürfen seit einigen Jahren keine Kinder adoptieren.
Nun also müssen - mit Verweis auf das Recht der Kinder und deren "gesunder Entwicklung" - Veranstalter wie auch Teilnehmer von Pride-Paraden mit Strafen rechnen. Verstöße werden mit umgerechnet bis zu rund 500 Euro geahndet, die Polizei darf Gesichtserkennungssoftware bei solchen Veranstaltungen einsetzen. Damit droht auch der besonders bunten, jährlichen Budapester Pride-Parade das Ende.

Ungarns Ministerpräsident Victor Orban bei der Abstimmung zur Verfassungsänderung im Parlament.
"Frontalangriff auf die LGBTQIA+-Community"
Von einem "Frontalangriff auf die LGBTQIA+-Community" sprach jüngst der Direktor von Amnesty International in Ungarn, David Vig. Die Begründung des Kinderschutzes sei fadenscheinig und basiere auf "tief verwurzelter Diskriminierung, Homophobie und Transphobie".
Andere Nichtregierungsorganisationen äußerten sich ähnlich und werfen der Regierung vor, Pädophilie und Homosexualität in einen Kontext bringen zu wollen. Rechtsexperten erachten den Einschnitt ins Versammlungs- und Rederecht zudem als verfassungswidrig. Sie hoffen auf ein Verfahren der EU-Kommission.
Betroffene werden immer mehr an den Rand gedrängt
Ein weiterer Beschluss der ungarischen Regierung trifft trans, inter und non-binäre Menschen besonders stark - also Personen, die sich nicht mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren, mit Geschlechtsmerkmalen geboren wurden, die nicht eindeutig männlich oder weiblich sind, oder sich jenseits der binären Mann-Frau-Geschlechterordnung verorten.
Die Regierung unter Orban erkennt diese Personen nicht an. Sie sieht in der Geschlechterfestlegung nur ein biologisches Merkmal. Deshalb heißt es nun in der Verfassung: Das Geschlecht einer Person kann bei Geburt nur entweder männlich oder weiblich sein.
Staatsbürgerschaft von Doppelstaatlern kann ausgesetzt werden
Damit nicht genug: Orban, der zuletzt immer wieder vor ausländischen Einflüssen gewarnt hatte, hat sich und seiner Regierung weitere Befugnisse im Vorgehen gegen Gegner oder Andersdenkende verschafft: Laut Grundgesetz ist es nun möglich, die ungarische Staatsbürgerschaft von Doppelstaatlern vorübergehend auszusetzen - und das ohne echte Begründung oder gar Beweise; eine entsprechende Klausel lässt breiten Interpretationsspielraum. Völkerrechtler hatten sich vorab gegen den Schritt ausgesprochen - vergeblich.
Kritik von Menschenrechtlern
Dass an diesem Tag auch noch das ohnehin strikte Drogengesetz verschärft wird, passt nach Ansicht vieler Menschenrechtler ins Bild. Die Organisation "Ungarisches Helsinki-Komitee" hält fest: Die nun verabschiedeten Gesetze dienten dazu, Angst zu schüren und die Gesellschaft zu spalten. Für die Regierungsmehrheit, so die NGO, sei das Grundgesetz zum x-ten Mal ein Mittel, um die täglichen politischen Ziele zu erreichen - "unabhängig davon, wie viel Schaden es den Bürgerinnen und Bürgern zufügt".