Selenskyj besucht Flutgebiet "Wir werden alles wieder aufbauen"
Riesige Wassermassen strömen seit Dienstag aus dem zerstörten Kachowka-Staudamm in der südukrainischen Region Cherson. Nun besucht der ukrainische Präsident Selenskyj das Gebiet - mit dem Versprechen, die Menschen zu entschädigen.
Wenige Tage nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms in der Südukraine ist Präsident Wolodymyr Selenskyj in die Hochwasserregion gereist. Im Gebiet Cherson habe er sich unter anderem ein Bild von den laufenden Evakuierungen gemacht, teilte Selenskyj mit.
Die Überschwemmungen infolge der Zerstörung des Staudammes bezeichnete Selenskyj für die Bevölkerung vor Ort als "schwierige Prüfung". Er sicherte den Menschen vor Ort zu, dass alles wieder aufgebaut werden solle. Gleichzeitig dankte er den Rettungskräften und dem medizinischen Personal und bezeichnete sie und ihren Einsatz nahe der Front als "heldenhaft".
Entschädigungen für Unternehmen und Einwohner
Bei seinem Besuch stellte Selenskyj zudem Mittel in Aussicht, um Einwohner und Unternehmen zu entschädigen, die wegen der steigenden Wassermassen ihre Häuser und Anlagen verlassen mussten. Dazu veröffentlichte Selenskyj ein Video, das ihn mit Anwohnern, Rettern und Soldaten zeigt. Zu sehen sind außerdem Häuser, von denen nur noch die Spitze des Dachs aus den Wassermassen ragt.
Vor seinem Besuch in den Überflutungsgebieten hatte Selenskyj bereits internationalen Hilfsorganisationen vorgeworfen, zu langsam notwendige Unterstützung auf den Weg zu bringen.
Überschwemmungsgebiet wird größer
In der Nacht zum Dienstag war der Damm in der von russischen Truppen besetzten Stadt Nowa Kachowka zerstört worden. Seitdem strömen riesige Mengen Wasser aus dem Stausee: Das Überschwemmungsgebiet ist laut ukrainischer Darstellung schon jetzt 600 Quadratkilometer groß. Gut zwei Drittel der überschwemmten Fläche sinddemnach russisch besetztes Territorium.
Aus dem Stausee hinter dem zertrümmerten Damm ergießen sich weiter ungehindert riesige Wassermassen über das Land. Zahlreiche Orte sind überflutet, darunter auch die Gebietshauptstadt Cherson. Der Wasserstand in dem See sei binnen 24 Stunden um einen Meter gesunken, hatte der staatliche Wasserkraftwerksbetreiber Ukrhydroenergo in Kiew mitgeteilt.
Kein Besuch Putins geplant
Im Gegensatz zum ukrainischen Präsidenten will Russlands Staatschef Wladimir Putin vorerst nicht in die von eigenen Truppen besetzen Überflutungsgebiete in der Ukraine reisen. Das teilte Kremlsprecher Dmitri Peskow mit, wie die russische Nachrichtenagentur Interfax berichtete.
Nach russischen Behördenangaben gibt es infolge der Überschwemmungen Tote und Verletzte. Der von Russland eingesetzte Bürgermeister der am Staudamm gelegenen Stadt Nowa Kachowka, Wladimir Leontjew, teilte etwa mit, fünf als vermisst gemeldete Menschen seien tot. Zwei weitere Vermisste seien lebend gefunden worden, sagte Leontjew dem russischen Staatsfernsehen. Zudem seien mindestens 40 Menschen verletzt worden.
In der Gegend bildet der Fluss Dnipro praktisch die Frontlinie. Bislang sind auf beiden Seiten der Front mindestens 4000 Menschen in Sicherheit gebracht worden. Das ganze Ausmaß der Katastrophe in einer Gegend mit mehr als 60.000 Menschen war immer noch nicht klar.
Schraffiert: von Russland besetzte Gebiete
Ukraine macht Russland verantwortlich
Die Ukraine macht - ebenso wie viele internationale Beobachter - Russland für die Katastrophe verantwortlich. Die Regierung des angegriffenen Landes ist davon überzeugt, dass Moskau den Staudamm sprengen ließ, um so die geplante ukrainische Gegenoffensive zu behindern. Moskau weist die Vorwürfe zurück und schiebt Kiew die Schuld zu.
Kremlsprecher Peskow warf der Ukraine zudem vor, die Evakuierungen in den russisch besetzten Gebieten der Ukraine durch anhaltenden Beschuss zu behindern. Der von Moskau eingesetzte Regionalgouverneur von Cherson, Wladimir Saldo, schrieb auf Telegram, zwei Menschen seien durch ukrainischen Beschuss getötet und zwei weitere verletzt worden.
Zuvor hatte auch die ukrainische Seite ähnliche Vorwürfe gegen Russland erhoben. Laut der Nachrichtenagentur AFP berichtete die örtliche Staatsanwaltschaft in Cherson, dass in der Stadt ein Zivilist durch russischen Beschuss getötet worden sei. In einem Ort nahe Cherson seien zudem vier Menschen verletzt worden. Unabhängig überprüfen lassen sich die Angaben beider Seiten nicht.
Wohl auch Rückschlag für russische Truppen
Der Generalstab in Kiew geht davon aus, dass die russischen Truppen durch die Zerstörung des Damms Kämpfer, Ausrüstung und Militärtechnik verloren haben. Es gebe tote, verletzte und vermisste Soldaten.
Auch Experten des US-Instituts für Kriegsstudien (ISW) stellten fest, dass durch die reißenden Fluten aus dem Stausee russische Verteidigungsstellungen an der Frontlinie vernichtet worden seien.
Russische Militärblogger meinen, die ukrainischen Truppen könnten nun in dem besetzten Gebiet leichter vordringen, um die Region und dann auch die annektierte Schwarzmeer-Halbinsel Krim zurückzuerobern. Die Ukraine weist das als Propaganda zurück.