Irland wählt Volle Staatskasse - und trotzdem Unmut
Irland hat ein Luxusproblem: In der Staatskasse ist zu viel Geld. Doch das kommt nicht bei den Bürgern an, weil die Regierung andere Pläne hat. Und so ist bei der Parlamentswahl, die heute stattfindend, die Stimmung gedrückt.
Davon träumen Finanzminister: Irland hat mal wieder einen milliardenschweren Haushaltsüberschuss erzielt. Zu den 8,6 Milliarden Euro in diesem Jahr kommen 14 Milliarden Euro Steuernachzahlungen vom US-Konzern Apple.
Irland führt die Wachstumsprognose der Europäischen Kommission für das kommende Jahr mit an. Und das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf ist das dritthöchste der Welt.
Geldsegen kommt nicht an
Und doch ist von Wählerzufriedenheit auf Dublins Straßen wenig zu spüren. Das drängendste Problem: Es fehlen Hunderttausende Wohnungen. Die Mieten steigen, die Obdachlosigkeit auch.
40 Prozent der 25- bis 34-Jährigen leben noch zuhause bei den Eltern. Lehr-und Pflegekräfte fehlen, weil sie keine bezahlbare Wohnung finden. Und die Probleme gibt es nicht nur in der Hauptstadt.
Zwei Einkommen - und doch reicht es nicht
Annie Gallagher, die an der Westküste lebt, erzählt, dass ihre Miete sich in nur drei Jahren verdoppelt habe, auf 1.600 Euro.
Die 37-Jährige und ihr Mann arbeiten Vollzeit im öffentlichen Dienst, trotzdem bleibe oft wenig Geld für Lebensmittel. Denn Irland steckt mittendrin in der Preiskrise. Als "working poor" bezeichnet sie sich - als erwerbsarm.
Die steigenden Kosten seien das zweite wichtige Thema für die Iren bei dieser Wahl, sagt Stefan Müller, Politikwissenschaftler am University College Dublin, gefolgt von Sorgen um den Gesundheitsdienst, in dem die Wartezeiten immer länger werden.
Es geht auch um Migration
Auch Migration spiele eine Rolle im Wahlkampf, so Müller, wenn auch untergeordnet. Rund 150.000 Menschen sind innerhalb eines Jahres bis Ende April eingewandert - eine Zahl, die sich bei nur 5,2 Millionen Einwohnern im Land bemerkbar macht.
In Dublin entstand eine Zeltstadt. Rechtsextreme randalierten, neue, parteiunabhängige Kandidaten bedienen sich ausländerfeindlicher Rhetorik.
Doch die extreme Rechte sei in Irland noch fragmentiert und relativ klein, sagt der irische Autor und Journalist Fintan O'Toole: "Es gibt keine AfD, keinen Trump, keinen Anführer."
Auf den freien Markt gesetzt
Der Druck auf den Mietmarkt bestand schon, bevor Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine und Asylsuchende kamen. Seit der Jahrtausendwende ist die irische Bevölkerung um ein Drittel gewachsen. Das "Armenhaus Europas" erlebte damals einen enormen wirtschaftlichen Boom, der erst mit der Finanzkrise platzte.
Irland musste mit Milliarden vor dem Staatsbankrott gerettet werden und im Gegenzug sparen - damals brach die Baubranche ein. "Irland hat auf den freien Markt gesetzt, daran hält die Regierung fest", sagt Edgar Morgenroth, Ökonom an der DCU Business School.
"Aber das funktioniert nicht. Regionalregierungen oder die Zentralregierung müssen Wohnungen für Menschen bereitstellen, die sie sich sonst nicht leisten können."
Niedrige Steuern als Lockmittel
Dass sich Irland zumindest auf dem Papier so schnell von dieser Katastrophe erholen konnte, liegt vor allem an der niedrigen Körperschaftssteuer, mit der es seit Jahrzehnten schwere multinationale Unternehmen lockt. Sie müssen ihre Gewinne mit lediglich 12,5 Prozent versteuern, weniger als in den meisten anderen europäischen Ländern.
Heute sitzen in Irland rund 1.500 multinationale Konzerne, die meisten davon aus den USA, vor allem aus der Pharma-, und Digitalbranche, von Pfizer über Google, Apple, Microsoft und Amazon.
Sie schätzen, dass überall Englisch gesprochen wird, den hohen Bildungsgrad vieler Iren, das einfache Steuerrecht und die Geschwindigkeit, mit der Unternehmen loslegen können.
Vergangenes Jahr sammelte Irland knapp 24 Milliarden Euro Körperschaftssteuer ein - wenig, gemessen an der Wirtschaftskraft der Unternehmen, aber für den kleinen Inselstaat viel.
Aufgeblasene Zahlen
Doch der Geldsegen ist volatil. "Wie die Gewinne intern generiert werden, um sie dann in Irland zu versteuern, ist für Ökonomen nicht vorhersehbar, wir sind schlecht darin", sagt Morgenroth. Deshalb sei auch schwer vorherzusagen, wie lange es so weitergehe.
Einige Unternehmen verwalten zum Beispiel ihr geistiges Eigentum aus Irland heraus, so wie Logos oder Slogans. Werden ihre Produkte in der Welt verkauft, verlangen sie Lizenzgebühren. Die Geldsummen, die dabei hin und hergeschoben, aber teilweise gar nicht in Irland selbst erwirtschaftet werden, blasen volkswirtschaftliche Kennzahlen wie das irische BIP künstlich auf.
Von "Leprechaun Economic", einer Koboldwirtschaft, sprach der amerikanische Ökonom Paul Krugman in Anlehnung an das irische Fabelwesen.
Zwei Wirtschaften
Es gebe zwei Wirtschaften in Irland, sagt Fintan O'Toole: die der multinationalen Konzerne und die deutlich kleinere der irischen Unternehmen. "Irland hat in Folge eine der ungleichsten Verteilungen von Einkommen", so O’Toole.
Der Regierung bereitet es Sorgen, so abhängig von den Konzernen zu sein. Die zehn größten von ihnen waren 2022 für 60 Prozent der irischen Körperschaftssteuer verantwortlich. Schreibt auch nur einer der Konzerne rote Zahlen, kriegt das ganz Irland zu spüren.
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Geld lieber anlegen
Auch Donald Trump macht die Iren nervös. Die USA sind Irlands größter Exportmarkt. Doch Trump hat Zölle auf Importe angekündigt.
Und die Gewinne jetzt komplett auszugeben, etwa massiv in Wohnungsbau zu investieren, würde die Inflation anfeuern, warnen Ökonomen. "Wir würden nicht viel Wert für das Geld bekommen", sagt Morgenroth.
Die irische Regierung legt einen Teil des Geldes also in einem Staatsfonds an. Zwar sieht der Haushaltsplan, der kurz vor der Wahl verkündet wurde, großzügige Steuererleichterungen und zahlreiche Ausgaben vor.
Doch der Fonds soll die Iren langfristig absichern, bis 2035 mit klugen Investitionen auf 100 Milliarden Euro anwachsen, um die Gewinne dann in Renten, das Gesundheitssystem, den Klimawandel und die Infrastruktur zu investieren.
Erneute Koalition wahrscheinlich
Trotz aller Unzufriedenheit in der Bevölkerung liegen die beiden Regierungsparteien Fianna Fail und Fine Gael in den Umfragen vorne. Eine erneute Koalition sei wahrscheinlich, sagt Politikwissenschaftler Stefan Müller, wenn auch möglicherweise mit einem anderen dritten Partner als bisher mit den Grünen, etwa mit Labour, den Social Democrats oder unabhängigen Kandidaten.
Die linksrepublikanische Partei Sinn Fein hingegen hat schlechtere Chancen, auch wenn sie sich in manchen Umfragen die Führung mit Fianna Fail teilt. Es wird ein enges Rennen zwischen den Dreien.
Doch die irische Linke sei zerstritten, sagt Müller, könne sich schlecht koordinieren. Durch die steigende Zahl unabhängiger Kandidaten scheint ein fragmentiertes Parlament wahrscheinlich.