Elon Musk

Großbritannien Wie Musk einen alten Skandal für sich nutzt

Stand: 07.01.2025 00:13 Uhr

Immer wieder attackiert US-Milliardär Elon Musk auf X die britische Regierung. Nun wärmt er dafür einen Missbrauchskandal auf, der längst aufgearbeitet ist. Premier Starmer reicht es. Und selbst Musk-Verehrer distanzieren sich.

Es war eine Kehrtwende, die es in sich hatte. Nachdem der britische Premier Starmer Elon Musk und seine Attacken gegen ihn und seine Regierung seit dem Sommer meist ignoriert hatte, um nicht noch mehr Öl ins Feuer zu gießen, schlug er Montagmittag auf seiner ersten Pressekonferenz im neuen Jahr offensiv zurück. Für ihn sei jetzt endgültig eine Grenze überschritten, so Keir Starmer - denn Musk verbreite Lügen, die durchaus Konsequenzen jenseits sozialer Medien haben könnten.

Wir haben diese Strategie jetzt viele Male erlebt, die Einschüchterungsversuche und Drohungen gegen einzelne Politiker, in der Hoffnung, die traditionellen Medien spielen mit und verbreiten seine Lügen.

Konkret geht es um Vorwürfe von Musk, laut denen Starmer mitschuldig an Vergewaltigungen und der systematischen Prostitution minderjähriger weißer Mädchen sei, die in den 2010er-Jahren bekannt geworden waren, da er in seiner damaligen Rolle als Generalstaatsanwalt diese Fälle nicht verfolgt habe. Ein Vorwurf, den Musk in einer regelrechten Kampagne gegen Starmer auf X seit Wochen fast täglich wiederholt.

Fälle sind aufgearbeitet

De facto aber ist das Gegenteil der Fall. Zwar hatten damals tatsächlich pakistanischstämmige Gangs vor allem in Nordengland über Jahre junge Mädchen prostituiert und vergewaltigt, und tatsächlich wurde hier lange weggeschaut. Die Täter hatten pakistanische Wurzeln, und die Behörden wollten den Eindruck vermeiden, rassistisch zu sein.

All das ist seit langem bekannt und in diversen lokalen und nationalen Untersuchungsausschüssen hinlänglich dokumentiert. Anders aber, als Musk auf X behauptet, war Starmer als Generalstaatsanwalt genau derjenige, der maßgeblich daran beteiligt war, dagegen vorzugehen. Bereits 2013 erließ er zum Beispiel neue Richtlinien, wie Staatsanwälte in Zukunft besser mit den Opfern dieser Gangs umzugehen hätten.

Musk aber kümmern solche Fakten wenig, am Wochenende erklärte er darüber hinaus die Labour-Abgeordnete Jess Philipps zur "wicked witch", einer bösen Hexe. Und das, weil sie faktisch richtig erklärt hatte, eine neue nationale Untersuchungskommission der alten Fälle sei nicht sinnvoll, da es bereits diverse andere gegeben habe, deren Empfehlungen derzeit umgesetzt würden. Ungeachtet dessen erhält sie seitdem ernst zu nehmende Morddrohungen.

Musk einer Verschwöungstheorie verfallen?

Warum aber wärmt Musk diese längst dokumentierte Geschichte jetzt wieder auf und tut so, als sei das alles gerade passiert? Ganz offenbar zunächst deshalb, weil er sein Wissen über Großbritannien weitestgehend aus rechten Echokammern bezieht. Denn die Lügen über Starmers angebliche Vergangenheit als Kinderschänder sind Teil einer Verschwörungstheorie, die vor allem aus dem Umfeld des rechtsradikalen Tommy Robinson kommen, der derzeit in London eine Haftstrafe wegen mehrfacher Lügen vor Gericht absitzt.

Musk hatte dessen eigentlich gesperrten Account auf X im Sommer wieder freigeschaltet, woraufhin Robinson seine mehr als eine Million Follower mehr oder weniger direkt dazu aufrief, bei den gewalttätigen August-Unruhen im Sommer mitzumischen. Auch hier hatte Musks Handeln direkte Folgen über die Welt der sozialen Medien hinaus. Und weil das alles so gut lief für X, unterstützte Musk anschließend auch noch "Free Tommy Robinson!", eine Kampagne aus dem rechtsradikalen Umfeld, die für die sofortige Freilassung des verurteilten Straftäters wirbt.

Farage distanziert sich von Aussagen

Das ging dann selbst Nigel Farage, dem Chef der rechten und migrationsfeindlichen Reformpartei, der sich bislang im Schatten Musks als dessen bester Freund gesonnt hatte, zu weit. Auf die Frage in einem Interview mit der BBC am Sonntag, ob er Musk auch bei der Verteidigung Robinsons unterstütze, erklärte Farage sichtlich gequält, Musk sei ein Held, aber auch unter besten Freunden sei man nicht immer einer Meinung.

Die Reaktion kam prompt: Nur wenige Stunden später erklärte Musk auf X, Reform brauche einen neuen Anführer, Farage habe nicht das Zeug dazu. Ein jähes Zerwürfnis, das große Wellen schlug und zeigt, wie vollkommen unberechenbar eine Allianz mit dem neuen Mann an Trumps Seite wirklich ist.

Es war nicht zuletzt Musks Nähe zum neuen US-Präsidenten, die Starmer in den letzten Wochen eher defensiv hat agieren lassen. Sein Sinneswandel beruht nun aber offenbar auf der Einsicht, dass man Musk nicht länger ignorieren kann, da dessen Angriffe letztlich dem Fundament der liberalen Demokratie gelten.

Demokratie untergraben

Musks Kampagnen haben bei aller vordergründigen Unübersichtlichkeit im Kern nämlich ein ganz klares Ziel. Es geht ihm darum, die Tatsachen als Referenz zu verwischen und damit die politische Kultur einer Demokratie zu untergraben, die auf die Unterscheidung zwischen wahr und falsch angewiesen ist. In einem Land, in dem das nicht mehr möglich ist, zählt am Ende nur noch das Recht des Stärkeren. Die Kontrolle finanzieller und politischer Macht wird dann zunehmend unmöglich.

Er habe nichts gegen Kritik, erklärte Starmer so zum Abschluss am Montag, "aber die muss auf Fakten basieren, nicht auf Lügen." Der Chef der britischen Liberalen, Ed Davey, ging noch einen Schritt weiter. Es sei an der Zeit, den amerikanischen Botschafter einzubestellen. Ob Starmer so weit gehen will, ist derzeit unklar. Klar ist aber, dass der britische Premier dem Zerstörungswerk Musks nicht länger schweigend zuschauen wird.

Christoph Prössl, ARD London, tagesschau, 06.01.2025 18:49 Uhr