Lastwagen transportieren bei Odessa (Ukraine) geernteten Weizen ab.
faq

Russland und die Ukraine Was hat das Getreideabkommen gebracht?

Stand: 17.07.2023 15:22 Uhr

Dreimal wurde das Getreideabkommen zwischen Russland, der Ukraine, der Türkei und den UN verlängert. Nun sperrt sich Russland. Was könnten die Folgen sein - und was wurde bislang erreicht?

Worum geht es?

Die Ukraine und Russland gehören zu den wichtigsten Produzenten von Weizen, Gerste und Sonnenblumenöl. Beide Staaten zusammen lieferten vor dem Überfall Russlands auf das Nachbarland fast ein Viertel der Getreideexporte weltweit. Der ukrainische Export lief überwiegend über die Häfen des Landes am Schwarzen Meer.

Nach Kriegsbeginn blockierte Russland die Ausfuhren der Ukraine. Russland selbst wurde wegen des Krieges mit weitreichenden Handelsbeschränkungen belegt. Beides zusammen führte 2022 zu einem starken Preisanstieg bei Getreide, aber auch bei Dünger, dessen weltweit führender Exporteur Russland ist.

Zugleich verstärkte sich in den ärmsten Ländern der Welt die wirtschaftliche Not. Der Ukraine und Russland gingen durch den geringeren Export wichtige Einnahmen für den Staatshaushalt verloren, viele Bauern mussten um ihre wirtschaftliche Existenz kämpfen.

Tobias Heidland, Kiel Institut für Weltwirtschaft, zum Auslaufen des Getreideabkommens

tagesschau24, 17.07.2023 14:00 Uhr

Was beinhaltet das Abkommen?

Im Juli 2022 wurde unter der Vermittlung der Vereinten Nationen und der Türkei eine Vereinbarung getroffen, die die Wiederaufnahme der Lieferungen aus drei ukrainischen Schwarzmeerhäfen regelt und die sichere Passage von mit Getreide beladenen Schiffen durch den Bosporus gewährleisten soll.

Die Schiffe fahren seitdem entlang eines 310 Seemeilen langen und drei Seemeilen breiten Korridors. Ein Koordinierungszentrum in Istanbul ist mit Vertretern der Kriegsgegner sowie der Türkei und der UN besetzt. Vertreter aller Parteien kontrollieren die Schiffsladungen in Istanbul. Damit soll sichergestellt werden, dass tatsächlich nur Lebensmittel und keine Waffen an Bord sind.

Zu der "Schwarzmeer-Getreide-Initiative" gehört außerdem eine separate Vereinbarung zwischen den Vereinten Nationen und Russland. Darin versprechen die UN, alles für die Aufhebung der Hürden zu tun, die russische Getreide- und Düngemittelexporte erschweren.

Das Abkommen galt zunächst für 120 Tage und wurde dreimal verlängert, einmal um 120 und zweimal um 60 Tage. Die russische Regierung teilte nun mit, dass sie zu einer weiteren Verlängerung nicht bereit sei - damit würde es heute um Mitternacht Ortszeit (23:00 Uhr MESZ) auslaufen.

Was hat das Abkommen bisher gebracht?

Im Rahmen des Abkommens wurden laut UN rund 33 Millionen Tonnen Getreide und Lebensmittel aus der Ukraine in 45 Staaten exportiert. Der größte Anteil der Exporte entfiel auf Mais und Weizen. Hauptempfängerländer waren China (rund acht Millionen Tonnen), Spanien (rund sechs Millionen Tonnen), die Türkei (rund 3,2 Millionen Tonnen) und Italien (rund 2,1 Millionen Tonnen). 44 Prozent der Ausfuhren gingen laut Weltbank-Ranking in reiche Länder und drei Prozent der Ausfuhren in arme Länder. Das Welternährungsprogramm der UN konnte nach eigenen Angaben dadurch mehr als 725.000 Tonnen an vom Hunger bedrohte Menschen in Afghanistan, Äthiopien, Kenia, Somalia, Sudan und Jemen liefern.

Das Abkommen trug dazu bei, dass die weltweiten Preise für Getreide wieder deutlich sanken. Nach UN-Ausgaben lagen sie zuletzt um 23 Prozent unter den im März 2022 notierten Höchstwerten.

Bieten sich andere Transportwege an?

Die Ukraine kann monatlich bis zu zwei Millionen Tonnen Getreide mit Lkw und Bahn transportieren - etwa die Hälfte der vier Millionen Tonnen, die das Land vor dem russischen Angriff über seine Seehäfen verschifft hat. Deswegen hat der Seeweg enorme Bedeutung.

Welche Probleme gibt es?

Russland drohte immer wieder damit, das Abkommen platzen zu lassen - allerdings mit wechselnden Argumenten. Zuletzt behauptete die russische Seite, Versprechen, die Russland im Zuge der Vereinbarung gemacht wurden, seien nicht erfüllt worden. Insbesondere die westlichen Sanktionen hätten russische Agrarexporte nach wie vor blockiert.

Außerdem habe die Ukraine eine Pipeline zwischen der russischen Stadt Togliatti und dem ukrainischen Hafen in Odessa gesprengt. Diese wurde für den Transport von Dünger und Ammoniak gebaut und sollte, nachdem sie seit Beginn der russischen Offensive im Februar 2022 deaktiviert war, demnächst wieder in Betrieb genommen werden.

Das russische Außenministerium wirft dem Westen zudem vor, die Getreideexporte statt in die armen Länder Afrikas und Asiens ausschließlich in "wohlgenährte Länder" zu liefern.

Russische Lebensmittel- und Düngemittelausfuhren unterliegen zwar nicht den westlichen Sanktionen, die nach der Invasion im Februar 2022 verhängt wurden. Doch nach russischen Angaben stellen die Handelsbeschränkungen in Bezug auf Zahlungen, Logistik und Versicherungen ein Hindernis für die Lieferungen dar. Russland forderte deshalb, dass seine staatliche Landwirtschaftsbank von den Sanktionen des Westens befreit wird, um Geschäfte abwickeln zu können.

Wie sind die Reaktionen auf die Vorwürfe?

Die USA weisen dies zurück. Die US-Botschafterin bei den UN, Linda Thomas-Greenfield, sagte schon im Mai: "Russland exportiert Getreide und Düngemittel in gleichem Umfang, wenn nicht sogar in größerem Umfang als vor der Invasion."

Tobias Heidland vom Kieler Institut für Weltwirtschaft sagte auf tagesschau24, die russische Landwirtschaftsbank falle nicht unter die westlichen Sanktionen und könnte theoretisch Geschäfte machen. Sie sei, wie alle russischen Banken, zwar vom SWIFT-System ausgeschlossen. Es gebe aber auch eine Direktive der EU, wonach eingefrorene russische Gelder wieder freigegeben werden könnten, "sofern sie für den Export von Agrarprodukten oder Düngemitteln nötig sind". Heitlands Fazit: "Die Situation ist nicht so schwierig, wie Putin uns glauben lässt."

Sind Lösungen in Sicht?

Der russische Regierungssprecher Dmitri Peskow erklärte, sein Land werde das Abkommen wieder in Kraft setzen, sobald die russischen Bedingungen erfüllt seien. Wie das geschehen könnte, ist vorerst aber nicht absehbar.

Zwar hatte die EU zuletzt die Gründung einer Tochter der Landwirtschaftsbank zur Abwicklung von Finanzgeschäften vorgeschlagen. Diese Idee wurde jedoch von der russischen Seite zurückgewiesen - es handele es sich um einen "bewusst nicht umsetzbaren Plan", sagte die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa. Die Gründung einer solchen Bank und ihr Anschluss an das internationale Bankenkommunikationsnetzwerk SWIFT dauere Monate.

Für die von Russland geforderte Aufhebung der Sanktionen gegen die Landwirtschaftsbank wäre die Zustimmung der EU-Staaten nötig, was ebenfalls als nicht durchsetzbar gilt. Russische Banken können wegen der Trennung vom SWIFT-Kommunikationsnetzwerk der Banken nur noch schwer Finanzgeschäfte abwickeln. Auch die Versicherung von Schiffen und Frachten gilt als schwierig.

Was passiert, wenn das Getreideabkommen nun ausläuft?

Ohne sichere Transportwege über das Schwarze Meer könnte die russische Kriegsmarine die Verschiffung von Getreide verhindern. Experten befürchten, dass das wieder zu steigenden Preisen und Engpässen in ärmeren Ländern führen wird. Die Ukraine ist zudem dringend auf die Einnahmen aus dem Getreideverkauf angewiesen.

Frank Aischmann, ARD Moskau, zzt. Berlin, tagesschau, 17.07.2023 11:54 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 17. Juli 2023 um 12:10 Uhr.