Vergewaltigungsprozess Pelicot "Es gibt ein Davor und ein Danach"
Der öffentliche Vergewaltigungsprozess um Gisele Pelicot hat ganz Frankreich erschüttert. Im Schlussplädoyer ruft ihr Anwalt nach gesellschaftlichem Wandel - die große Frage ist, was der Fall tatsächlich verändern kann.
"Dieser Prozess wird ein Testament für die zukünftigen Generationen sein," sagte in seinem Schlussplädoyer Antoine Camus, einer der Anwälte von Gisele Pelicot. Seine Mandantin habe eine "beinahe politische" Entscheidung getroffen, als sie sich entschloss, den Prozess öffentlich stattfinden zu lassen und die Videos ihrer zigfachen Vergewaltigungen zu zeigen. Sie habe einen hohen Preis bezahlt, um die Gesellschaft zu verändern.
Dieser Prozess könne als historisches Beispiel dienen und helfen, wichtige Fragen zu klären: Fragen zum Einverständnis in eine sexuelle Handlung, zum Missbrauch unter Drogeneinsatz und ganz grundsätzlich zum Verhältnis von Mann und Frau.
Hoffen auf Umdenken in der Gesellschaft
"Gisèle Pelicot hätte alles Recht der Welt, heute Hass zu empfinden, Männer und Frauen gegeneinander auszuspielen und die männliche Sexualität im Allgemeinen zu verurteilen", fuhr Anwalt Camus fort. Aber Gisèle Pelicot habe sich entschieden, "diesen Schlamm in etwas Edles zu verwandeln und die Dunkelheit ihrer Geschichte zu überwinden, um einen Sinn darin zu finden". Sie zähle darauf, dass das Gericht ihr dabei helfe.
Während der Hauptangeklagte Dominique Pelicot mit der Höchststrafe von 20 Jahren Haft rechnen muss, ist unklar, wie die Richter im Fall der anderen 50 Männer auf der Anklagebank entscheiden. Werden sie der Argumentation vieler Angeklagter folgen, sie hätten nicht mit Absicht vergewaltigt, sie seien von Dominique Pelicot hinters Licht geführt und manipuliert worden?
Hauptangeklagter wendet sich an Familie
Anwalt Camus fordert auch für sie harte Strafen. Nur so könne in der Gesellschaft ein echtes Umdenken stattfinden. Jeder habe auf seiner Ebene "zu dieser Monstrosität beigetragen und zugelassen, dass das Martyrium einer Frau fortgesetzt wurde". Das Gericht habe in den vergangenen Wochen buchstäblich die "Banalität des Bösen nach Hannah Arendt" erlebt.
Ein letztes Mal hat sich in dem Prozess Dominique Pelicot an seine Familie gewandt. Er sei besessen gewesen von der Idee, eine starke Frau zu unterwerfen. Er wisse, dass er seine Familie zerstört habe. Das tue ihm unendlich leid. Als er diese Worte spricht und um Verzeihung bittet, rinnen Tränen über das Gesicht von Gisèle Pelicot, die in den vergangenen Wochen immer stark und gefasst geblieben war.
Forderungen nach Gesetzesänderung
Die Anwältin von Dominique Pelicot, Beatrice Zavarro, erklärte vor Journalisten, ihr Mandant sei absolut ehrlich gewesen. Er habe wirklich versucht, Erklärungen zu liefern. Ganz anders sieht das die Tochter von Dominique Pelicot, Caroline. Auch von ihr wurden Fotos auf dem Rechner ihres Vaters gefunden - halbnackt und schlafend. Als er im Gerichtssaal erneut beteuert, ihr niemals etwas angetan zu haben, schleudert sie ihm entgegen: "Du endest einsam und alleine - wie ein Hund!"
Die große Frage bleibt, welche Folgen der Prozess haben wird. Viele Feministinnen fordern, dass das explizite Einverständnis zu einer sexuellen Handlungen im Gesetz festgeschrieben werden müsse. Bleibe dieses Einverständnis aus, sei es als ein Nein zu werten. Viele Juristen und Juristinnen warnen vor diesem Schritt, er lenke die Aufmerksamkeit zu sehr weg vom Täter hin zum Opfer.
Urteile vor Weihnachten erwartet
Doch Justizminister Didier Migaud hat sich dafür ausgesprochen. Die Staatssekretärin für die Gleichstellung von Mann und Frau, Salima Saa, sagte zu dem Prozess: "Es gibt ein Davor und ein Danach."
Kommende Woche will die Regierung Ankündigungen machen im Zusammenhang mit der "soumission chimique", dem Missbrauch unter Drogen. Die Urteile gegen Dominique Pelicot und die 50 weiteren angeklagten Männer werden in der Woche vor Weihnachten erwartet.