Streit zwischen Deutschland und EU-Kommission EuGH entscheidet über VW-Gesetz
Seit zehn Jahren streiten die EU-Kommission und Deutschland um das sogenannte VW-Gesetz. Es sichert dem Land Niedersachsen bei wichtigen Konzernentscheidungen eine Sperrminorität zu. Ob das rechtens ist, entscheidet heute der EuGH.
Heute werden die Europarichter den Schlusspunkt unter einen zehn Jahre andauernden Konflikt zwischen der EU-Kommission und Deutschland setzen: Seit 2003 zieht die Brüsseler Behörde gegen das deutsche VW-Gesetz zu Felde, weil es dem Land Niedersachsen nach Ansicht der Kommission eine ungerechtfertigte Sperrminorität bei Europas größtem Autobauer einräumt.
2007 bestätigte der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem ersten Spruch diese Sichtweise der EU-Kommission. Die starke Rolle der niedersächsischen Landesregierung verstoße gegen das europäische Recht, weil es die Freiheit des Kapitalverkehrs einschränke. Die Bundesrepublik änderte daraufhin das VW-Gesetz, allerdings nicht zur Zufriedenheit der EU-Kommission. Und Brüssel rief erneut den Europäischen Gerichtshof an, "weil Deutschland den Auflagen des Gerichtshofs immer noch nicht vollständig nachgekommen ist", so die Sprecherin der Kommission - was die Bundesregierung bestreitet.
Generalanwalt der EU will Klage abweisen
Die Richter müssen nun heute sozusagen entscheiden, wie ihr eigener Spruch vor sechs Jahren zu interpretieren ist: so wie Brüssel es sieht oder so wie Berlin es sieht. Folgen die Richter, was sie meistens tun, dem Gutachten ihres Generalanwalts, dann könnte die Sache für Berlin gut ausgehen. Denn der Generalanwalt hat im Mai vorgeschlagen, die Klage der Kommission kostenpflichtig abzuweisen.
Die Richter hatten 2007 drei Punkte des VW-Gesetzes beanstandet: erstens das Recht des Bundes und des Landes, jeweils zwei Vertreter in den VW-Aufsichtsrat zu entsenden, zweitens die Beschränkung des Stimmrechts von Aktionären auf maximal 20 Prozent unabhängig von ihrem tatsächlichen Aktienanteil und drittens eben das Vetorecht für Aktionäre, die mindestens 20 Prozent der Anteile halten - was maßgeschneidert für das Land Niedersachsen ist, aber dem deutschen Aktiengesetz widerspricht.
Starke Fürsprecher in Deutschland und Brüssel
Die ersten beiden Klauseln hat Deutschland abgeschafft, die dritte Klausel aber, die Sperrminorität, beibehalten - mit der Begründung, dass der EuGH in seinem ersten Urteil nur die Kombination von Höchststimmrecht und Sperrminorität gerügt habe, nicht aber das Vetorecht an sich. Und der Generalanwalt sieht das in seinem Rechtsgutachten genauso.
Es geht also heute in Luxemburg vordergründig um juristische Feinsinnigkeiten. Dahinter steckt aber eine hochpolitische Auseinandersetzung: Das VW-Gesetz wird in Deutschland von Gewerkschaftern und Politik gleichermaßen leidenschaftlich verteidigt, weil es eines der wichtigsten deutschen Unternehmen vor feindlichen Übernahmen und damit vor der Verlagerung von Jobs in Billiglohnländer schütze.
Mit dem EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz haben die Deutschen da auch in Brüssel einen gewichtigen Fürsprecher: "Solange ich in Straßburg was zu sagen habe, werde ich für dieses VW-Gesetz kämpfen.Und ich bin sicher, diejenigen, die es platt machen wollen, die werden keinen Erfolg haben", so der SPD-Politiker zur großen Freude der Belegschaft vor einigen Monaten auf einer Betriebsversammlung in Wolfsburg.
EU will Bußgeld für Deutschland in Millionenhöhe
Die EU-Kommission dementiert, dass sie die Mitbestimmung der Arbeitnehmer aushebeln oder den wirtschaftlichen Erfolg Volkswagens untergraben wolle. Sie gehe gegen das VW-Gesetz sozusagen im ureigensten Interesse des Konzerns und der Allgemeinheit vor: "Das VW-Gesetz ermöglicht die politische Einflussnahme auf Unternehmensentscheidungen und schreckt so Investoren ab. Und das kann sich negativ auf die Entwicklung von Innovation und Wachstum auswirken und außerdem die Preise in die Höhe treiben", sagt Kommissionssprecherin Chantal Hughes.
Um viel Geld geht es beim heutigen Urteil auch. Die EU-Kommission hat nämlich beantragt, dass die Bundesrepublik wegen ihrer Widerspenstigkeit in Sachen VW-Gesetz zur Zahlung eines Bußgeldes von knapp 70 Millionen Euro verurteilt wird. Dazu käme noch ein Zwangsgeld von fast 300.000 Euro für jeden Tag, den die Bundesrepublik nach dem Urteilspruch brauchen sollte, um die Vorgaben der Richter umzusetzen - falls die Richter nicht doch im Sinne Berlins entscheiden.
Das VW-Gesetz trat 1960 in Kraft, als die Volkswagenwerk GmbH zur AG wurde, und räumte Bund und Land Vorrechte ein, um den Autobauer vor einer feindlichen Übernahme zu schützen. Die Wurzeln dieser Extra-Regelung reichen bis zur Nazi-Machtübernahme zurück, da Volkswagen mit enteignetem Gewerkschaftsvermögen entstand.
Auf Druck aus Brüssel fielen inzwischen Sonderrechte. Doch immer noch gibt das Gesetz dem Land Niedersachsen mit 20 Prozent VW-Anteil eine starke Stellung. Zentrale Entscheidungen der Hauptversammlung, für die normalerweise drei Viertel der Aktionärsstimmen ausreichen, benötigen bei VW mehr als 80 Prozent Ja-Stimmen. Die Landesregierung hat daher ein Vetorecht - und das ist der EU-Kommission ein Dorn im Auge. Brüssel sieht damit die Freiheit des Kapitalverkehrs in Gefahr.