EU-Türkei-Gipfeltreffen zu Flüchtlingen Rettet Ankara für drei Milliarden Euro Schengen?
Die EU hofft auf die Türkei. Wenn das Land seine Grenzen zur EU für Flüchtlinge schließt, könnte dies die quasi brach liegende Schengen-Regelung retten. Doch vor dem morgigen EU-Türkei-Gipfel ist klar: Der Preis wird hoch sein - und er wird vielleicht noch höher.
Um zu verhindern, dass wieder Grenzen im Inneren Europas entstehen, müssen wir die Grenze nach außen wirksamer dicht machen - so lautet die Logik, nach der die EU in der Flüchtlingsfrage vorgehen will.
Kommissionschef Jean-Claude Juncker spricht das aus, was viele denken, wenn er vor einem Ende der Bewegungsfreiheit innerhalb der EU, vor einem Ende der Schengen-Regelung, warnt: "Das Schengen-System befindet sich in einem teilweise komatösen Zustand" - angesichts der Tatsache, dass eine Reihe von Ländern, darunter Deutschland, wieder Grenzkontrollen eingeführt, andere sogar Zäune hochgezogen haben. Alle Hoffnungen der EU für ihre Schengen-Rettungsaktion ruhen dabei nun auf der Türkei.
Versiegelte Grenzen, mehr Schulen für Flüchtlingskinder
Der Aktionsplan, den die EU nun - wie nicht nur Juncker verspricht - gemeinsam mit Ankara verabschieden wird, sieht vor: Die Türkei versiegelt ihre Grenzen, vor allem die zu Griechenland. Sie verstärkt durch mehr Küstenschutz den Kampf gegen Schlepper. Und sie bemüht sich, die Flüchtlinge von der Weiterreise in die EU auch dadurch abzuhalten, dass sie deren Lebensumstände in der Türkei selbst verbessert: indem sie Schulen für syrische Flüchtlingskinder baut, es den Volljährigen erlaubt zu arbeiten.
Klar ist, dass das nicht ohne Gegenleistungen geht: "Die Türkei hat - in unmittelbarer Nähe der Europäischen Union - für mehr als zwei Millionen Flüchtlinge nun schon seit mehreren Jahren Verantwortung übernommen", betont Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Drei Milliarden Euro als "Startzahl"
Die EU erkauft sich im Wortsinn die Mithilfe der Türkei mit zunächst drei Milliarden Euro. Von einer "Startzahl" ist in Diplomatenkreisen die Rede. Es könnte also in den nächsten Jahren noch mehr werden. Zudem könnte der Herzenswunsch vieler Türken bald wahr werden, demnächst für Kurzaufenthalte ohne Visum in die EU reisen zu dürfen. Erfüllt das Land bis dahin die Bedingungen, könnte eine Entscheidung darüber im nächsten Herbst fallen.
Und dann ist da noch das Thema Verhandlungen über eine EU-Mitgliedschaft. "Wir werden die Beitrittsperspektive jetzt nochmal beleben", stellte Merkel bereits vor Wochen in Aussicht. Auch wenn das nun keinesfalls heißt, dass die EU-Mitgliedschaft der Türkei damit so gut wie beschlossen wäre.
Zu hoher Preis für türkische Kooperation?
Die Zeiten jedenfalls, in denen die Europäer die Regierung am Bosporus kaum eines Blickes - und wenn, dann nur eines Blickes von oben herab - würdigten, scheinen vorerst vorbei. Jahrelang hatten mächtige EU-Länder wie Frankreich, aber gerade auch die Deutschen, die Verhandlungen eher unwillig betrieben oder aktiv blockiert.
Kritiker sagen: Vor Jahren noch war Präsident Erdogan auf einem demokratischeren und pro-europäischeren Kurs unterwegs. Damals habe man die Chance verpasst, all das zu bekommen, was man jetzt zu einem womöglich höheren Preis erhält.
Die grüne EU-Parlamentarierin Ska Keller fürchtet bereits, die Europäische Union werde zu den ständigen Verletzungen der Pressefreiheit oder zur Aufkündigung des Friedensprozesses mit den Kurden künftig schweigen: "Das wäre ein völlig falscher, ein schmutziger Deal, der die Menschenrechtslage in der Türkei nur noch verschärft."
Will die Türkei überhaupt in die EU?
Eine ganz andere Frage ist, wie innig die Türkei den EU-Beitritt überhaupt wünscht. Die Erdogan-Regierung scheint sich auf das Tauschgeschäft mit den Europäern jedenfalls auch einzulassen, ohne dass die EU zusagt, ihr eine festgelegte Zahl von Flüchtlingen abzunehmen. Möglicherweise führen der Bürgerkrieg in Syrien und die jüngsten Spannungen mit Russland dazu, dass sich Ankara in der Tat wieder der EU zuwendet. Beim Thema Menschenrechte allerdings, meinen Kritiker, benehme sich die Türkei derzeit eher nicht wie ein EU-Beitrittskandidat.