GFZ-Seismologe Kind zu Warnung vor Erdbeben "Vorhersagen sind eher Zufallstreffer"
Ein italienischer Forscher hat vor einer Woche vor einem Beben in Mittelitalien gewarnt. Wie zuverlässig war diese Vorhersage? Und hätten die Behörden darauf reagieren müssen? tagesschau.de sprach darüber mit dem Seismologen Rainer Kind vom Deutschen Geoforschungsinstitut in Potsdam.
Ein italienischer Forscher hat vor einer Woche vor einem Beben in Mittelitalien gewarnt. Wie zuverlässig war diese Vorhersage? Und hätten die Behörden darauf reagieren müssen? Kann man Erdbeben überhaupt voraussagen? tagesschau.de sprach darüber mit dem Seismologen Rainer Kind vom Deutschen Geoforschungsinstitut in Potsdam.
tagesschau.de: Was ist in Italien passiert? Was ist die geologische Ursache für dieses Erdbeben?
Rainer Kind: Die Ursache ist die Bewegung der afrikanischen Platte nach Norden. Dadurch wird das Mittelmeer quasi zugeschoben. Die Adria ist eine Art Sporn, der noch zu dieser afrikanischen Platte gehört, der weit in den europäischen Kontinent hineinragt und auch die Alpen auffaltet. Das ist für die Erdbeben auf der Apenninen-Halbinsel ebenso verantwortlich wie für Erdbeben in Spanien, auf dem Balkan und in Nordafrika.
tagesschau.de: Der italienische Erdbebenforscher Giampaolo Giuliani hatte aufgrund von Radon-Emissionen vor einem Beben gewarnt. Wie funktioniert diese Methode?
Kind: Dabei wird der Ausstoß von Radon, einem Edelgas, aus der Erde ständig gemessen. Gleichzeitig wird die Häufigkeit und Intensität von Erdbewegungen untersucht. Das wird in eine Beziehung zueinander gesetzt. So erhofft man, stark vereinfacht gesagt, durch Veränderungen bei den Radonemissionen Rückschlüsse auf ein bevorstehendes Erdbeben ziehen zu können. Giuliani und andere Forscher beschäftigen sich schon lange mit diesem Verfahren - und es ist auch durchaus ernstzunehmen. Aber es basiert auf einer Korrelation: Man setzt zwei unabhängig von einander erworbene Messreihen in eine Beziehung zueinander, ohne aber den physikalischen Zusammenhang zu kennen.
tagesschau.de: Wie zuverlässig ist dieses Verfahren?
Kind: Ergebnisse, die es da bisher gegeben hat, sind eher Zufallstreffer. Eine zuverlässige Methode würde es erst sein, wenn wiederholt Erdbeben sicher vorhergesagt worden wären. Das ist bisher aber nicht geschehen. Es kann also sein, dass es in diesem Fall eine berechtigte Vorhersage war - eine wirklich verlässliche war es auf keinen Fall. Ich würde es als Zufall werten.
tagesschau.de: Hätten Ihrer Ansicht nach die Behörden auf die Warnung reagieren müssen?
Kind: Nein. Giuliani - der ein wirklich ernstzunehmender Wissenschaftler ist - hätte vorsichtiger sein müssen. Bevor man mit solchen Aussagen an die Öffentlichkeit tritt, muss man wirklich sehr sicher sein. Giuliani hat vor etwa einer Woche vor einem Beben in der Region innerhalb der nächsten sechs bis 24 Stunden gewarnt. Das ist nicht eingetreten - er hat also nicht vor diesem Beben gewarnt, sondern vor einem Beben.
tagesschau.de: Sind überhaupt sichere Erdbebenvorhersagen möglich?
Kind: Nein. Das kann man bisher leider immer noch nicht. Das ist und bleibt die große Aufgabe der Seismologie. Es gibt neuere Ansätze, die mit GPS arbeiten - man beobachtet die Erdbewegungen in den gefährdeten Zonen, in denen zwei Platten zusammenstoßen, und untersucht die Deformationen, die dort vor Erdbeben auftreten. Das ist meiner Meinung nach ein Erfolg versprechender Ansatz, an dem gerade weltweit gearbeitet wird.
tagesschau.de: Sind die Menschen Erdbeben also schutzlos ausgeliefert?
Kind: Erdbeben geschehen, daran kann man nichts ändern. Man kann sich aber darauf vorbereiten, indem man beispielsweise entsprechend baut. Ein Erdbeben der Stärke sechs auf der Schwäbischen Alb 1976 hat ein paar Hausgiebel beschädigt und ein paar Schornsteine umgeworfen - mehr nicht. Der beste Schutz ist eine sichere Bauweise. Die ist allerdings auch teurer.
Das Interview führte Ralph Sartor, tagesschau.de.