TV-Serie ausgesetzt Was türkische Zuschauer nicht sehen sollen
Es geht um den radikalen Islam und eine brisante Liebesbeziehung: Die TV-Serie "Kızıl Goncalar" will der türkischen Gesellschaft den Spiegel vorhalten - zum Missfallen konservativer Sekten. Das hatte Folgen.
Vor gut einer Woche schaute das türkische Fernsehpublikum ziemlich in die Röhre: Anders als angekündigt zeigte FOX TV nicht die neueste Folge der Serie "Kızıl Goncalar" ("Rote Knospen"). Stattdessen lief für viele völlig überraschend ein Dokumentarfilm.
Die türkische Rundfunkbehörde RTÜK teilte mit, es habe mehr als 30.000 Beschwerden über "Kızıl Goncalar" gegeben. Für die Serie wurde deshalb ein zweiwöchiges Ausstrahlungsverbot verhängt.
Dabei ist die Geschichte von "Kızıl Goncalar" rein fiktiv. Es geht um die Beziehung zwischen Levent und Meryem: Er ist eher weltlich orientiert, sie Mitglied in einer konservativ islamischen Sekte.
In "Rote Knospen" prallen also zwei Welten aufeinander. Es geht um Verheiratung im Kindesalter, Gewalt in Koranschulen - und damit letztendlich auch um den politischen Einfluss islamischer Sekten in der Türkei.
Diese Religionsgemeinschaften sehen sich durch die fiktive Serie in ein schlechtes Licht gerückt. Besonders die Ismailaga-Gemeinde empfindet sich als Zielscheibe. Sie teilte schon nach der ersten Folge Mitte Dezember über die Plattform X mit:
Es ist nicht hinnehmbar, dass in den Medien Produktionen zu sehen sind, die scheinbar darauf abzielen, unsere Religion und fromme Menschen zu demütigen, indem sie Allah den Allmächtigen, unser höchstes Buch Koran, unsere religiösen Überzeugungen und geistlichen Einrichtungen verunglimpfen.
Der Einfluss islamischer Sekten
Das Serienverbot zeigt, wie groß der Einfluss islamischer Sekten in der Türkei ist. Laut einem Bericht des Bildungsforschers Esergül Balci sind etwa 2,6 Millionen Türken Teil einer Sekte oder einer ähnlichen Gemeinschaft. Fast jeder zehnte davon ist laut der Untersuchung aus dem Jahr 2018 radikal. Demnach lehnen sie den Begriff eines "gemäßigten Islam" ab.
Eine besonders wichtige Rolle spielen für die Sekten die Koranschulen. Für viele Gemeinden ist die Eröffnung und Unterhaltung von Bildungseinrichtungen eine bewährte Methode, um neue Mitglieder zu rekrutieren. 210.000 Schülerinnen und Schüler sollen laut dem türkischen Bildungsministerium Einrichtungen besuchen, die Verbindungen zu Sekten oder radikalen Religionsgemeinschaften haben.
Die Zahl der Beschwerden - unerreicht
Viele Sekten finanzieren sich über Spenden und ihre Mitglieder. So verschaffen einige Gemeinden ihren Anhängern zum Beispiel Jobs und erhalten im Gegenzug einen Anteil des Gehalts. Darüber hinaus sind einige Gemeinden auch selbst wirtschaftlich tätig und zum Beispiel an Geschäften oder kleineren Unternehmen beteiligt. Viele Sekten sind inzwischen also tief in der türkischen Gesellschaft verwurzelt und bestens vernetzt.
Als "Kızıl Goncalar" ins Visier der Sekten geriet, war der Druck auf die Rundfunkbehörde RTÜK deshalb groß. "Ich kann mich an keine Produktion in der Geschichte von RTÜK erinnern, die so viele Beschwerden hervorgerufen hat", sagt der RTÜK-Vorsitzende Ebubekir Şahin.
Das Gremium, in dem Erdogans AKP die Mehrheit hält, verhängte deshalb harte Strafen. Zwei Wochen lang wurde die Ausstrahlung der Sendung verboten. Außerdem mussten die Produzenten der Serie umgerechnet etwa 270.000 Euro Strafe zahlen.
Die Opposition ist nicht erbaut
Die Entscheidung sorgt in der Türkei für massive Kritik. "Darf man Glaubensgemeinden und Sekten nicht kritisieren? Ich halte es nicht für sinnvoll, dass sich RTÜK als Beschützer von Sekten und Glaubensgemeinden aufspielt", sagt zum Beispiel der oppositionelle CHP-Politiker Ilhan Tasci.
Auch die Produzenten von "Kızıl Goncalar" weisen die Kritik von sich. Die Serie sei fiktiv und keine Dokumentation. Sie wollten der Gesellschaft nur einen Spiegel vorhalten.
Der Serie selbst dürfte die aktuelle Debatte kaum schaden. Am kommenden Montag ist die von der RTÜK verordnete Zwangspause nämlich vorbei. Wenn "Kızıl Goncalar" dann wieder über die türkischen Bildschirme flimmern darf, dürfte das Interesse groß sein - und die Debatte um den Einfluss der Sekten weitergehen.