Bürgermeister von Istanbul Imamoglu steht erneut vor Gericht
Istanbuls Bürgermeister Imamoglu von der oppositionellen CHP muss sich wieder vor Gericht verantworten. Ihm wird Ausschreibungsbetrug vorgeworfen. Dabei deutet sich an, dass er an die Parteispitze drängt.
Imamoglu ist ein Name, der so gar nicht zu einem Spitzenpolitiker einer säkularen Partei passt. Denn übersetzt heißt das: der Sohn des Imam. Zu Imamoglu passt der Name aber durchaus. Denn der 52-Jährige stammt aus Trabzon am Schwarzen Meer, einer sehr konservativen Region der Türkei. Der Heimatort der Familie des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan ist nur wenige Kilometer entfernt.
Aber die beiden haben noch mehr gemein: die Art und Weise, wie sie auf Bühnen sprechen, ihre Anhänger in ihren Bann ziehen und wie ihre Stimmen bei Reden klingen. Und auch Imamoglu kann islamisch-konservative Türkinnen und Türken begeistern, wie er beim Kommunalwahlkampf 2019 gezeigt hat: Er gewann die Metropole Istanbul. Spätestens ab da war er für den türkischen Präsidenten wohl ein rotes Tuch, ein Kontrahent.
Erster Fall liegt bei Berufungsgericht
Schritt für Schritt hat Ankara die Kompetenzen der Istanbuler Stadtverwaltung beschnitten, um den Bürgermeister - so sehen es Kritiker - als unfähig dastehen zu lassen.
Sie bezeichnen auch die Prozesse gegen Ekrem Imamoglu als politisch motiviert. In einem ersten hatte ihn ein Gericht vergangenes Jahr zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten verurteilt und mit einem Politikverbot belegt, weil er Mitglieder des türkischen Wahlvorstands "Idioten" genannt haben soll. Das Urteil ist aber noch nicht rechtskräftig. Der Fall liegt noch beim höchsten türkischen Berufungsgericht. Darum ist Imamoglu immer noch Bürgermeister von Istanbul und nicht im Gefängnis.
Prozess dreht sich um Ausschreibung
In einem zweiten Prozess, der heute beginnt, drohen ihm und sechs weiteren Angeklagten ähnliche Strafen. Es geht um einen Fall, der rund acht Jahre zurückliegt, berichten türkische Medien. Damals war Imamoglu noch Bürgermeister der Gemeinde Beylikdüzü bei Istanbul.
Demnach soll es eine Ausschreibung für Personal gegeben haben. Eine unterlegene Firma hatte Einspruch gegen die Entscheidung der Gemeinde eingelegt, die lehnte den ab. Das brachte die Staatsanwaltschaft auf den Plan. Jetzt müssen sich Imamoglu und die anderen vor Gericht verantworten, weil sie die Ausschreibung manipuliert haben sollen. Türkische Medien zitieren Imamoglus Anwalt mit den Worten, sein Mandant habe damals gar keine Befugnis gehabt, Ausschreibungen zu genehmigen.
Lange als Präsidentschaftskandidat gehandelt
Kritiker vermuten, es geht darum ihn politisch auszuschalten. Im Fall der Präsidentschaftswahl könnte das schon funktioniert haben. Imamoglu galt lange als einer von drei möglichen Kandidaten der Opposition bei der Präsidentschaftswahl im Mai. Am Ende schickte die weder Imamoglu noch den Bürgermeister von Ankara Mansur Yavas ins Rennen, sondern den CHP-Vorsitzenden Kemal Kilicdaroglu, der in der Stichwahl aber verlor. Ob es mit dem charismatischen Imamoglu anders gelaufen wäre, darüber lässt sich nur spekulieren.
Und was genau zu Kilicdaroglus Nominierung geführt hat, ist auch nicht klar. Aber es dürfte nicht nur das drohende Politikverbot eine Rolle gespielt haben, sondern auch die Tatsache, dass Imamoglu bei einer Kandidatur seinen Bürgermeisterposten in Istanbul hätte aufgeben müssen. Ein Mitglied von Erdogans Partei AKP hätte dann übernommen, weil die im Stadtparlament die Mehrheit hat - so ist das in der Türkei geregelt.
Die größte Oppositionspartei CHP will Istanbul und Ankara aber auf jeden Fall halten. Die Siege von Yavas und Imamoglu waren der größte Triumph der CHP in den vergangenen Jahren. Imamoglu schaffte es damals im Wahlkampf vom unbekannten Gemeindebürgermeister zum Politstar. Er sprach Säkulare und Religiös-Konservative an und versuchte, die türkische Gesellschaft nicht weiter zu spalten. Bei ihm funktionierte das 2019, bei Kilicdaroglu vier Jahre später im Präsidentschaftswahlkampf nicht.
Imamoglu dürfte Ambitionen weiterverfolgen
Imamoglu scheint aber nicht nur Erdogans Konkurrent zu sein. Auch Kilicdaroglu tritt er spätestens seit der verlorenen Wahl immer mehr auf die Füße. Der 52-Jährige spricht es zwar nicht offen aus, aber einiges deutet darauf hin, dass er an die Spitze der CHP drängt. Er spricht von einer grundlegenden Veränderung in der Partei - Veränderung sei die einzige Konstante. Laut türkischen Medien habe Imamoglu Kilicdaroglu gebeten, den Wandel in der Partei voranzutreiben - man könnte das als indirekte Rücktrittsforderung auffassen. Der Parteichef habe abgelehnt.
Gestern sollen sich die beiden in Ankara getroffen haben. Über den Inhalt der Gespräche ist nichts bekannt. Wohl im Herbst soll es den Parteitag der CHP geben. Es ist zu erwarten, dass Imamoglu seine Karriere-Ambitionen weiterverfolgt - wenn das Berufungsgericht seine Strafe bis dahin nicht bestätigt: Politikverbot und Gefängnis.