Menschen im Iran laufen vor Gemälden von Ayatollah Ruhollah Chomeini und Ayatollah Ali Khamenei.

Fünf Jahre nach Protesten Nichts hat sich im Iran verbessert

Stand: 20.11.2024 09:11 Uhr

Vor fünf Jahren protestierten im Iran Tausende Menschen, der Staat ging brutal gegen sie vor. Heute hat sich die Situation für viele in jeder Hinsicht verschlechtert. Gerade für Frauen ist es noch düsterer geworden.

Mit ernstem Gesicht blickt Hossein Ronaghi in die Kamera. Der iranische Menschenrechtsaktivist trägt ein schwarzes T-Shirt, darauf zu sehen das Gesicht des bekannten Rappers Toomaj Salehi. Wegen seiner Teilnahme an den Frau-Leben-Freiheit-Protesten im Herbst 2022 sitzt Salehi im Gefängnis. Auf Ronaghis linker Schulter klebt ein Aufkleber, der Unterstützung für den Kampf vieler iranischer Frauen gegen das Kopftuch signalisiert.

Doch all das ist nicht das Auffälligste am Erscheinungsbild des 39-Jährigen: Ronaghis Lippen sind geschwollen, mehrere Einstiche sind zu erkennen, denn der Aktivist hat sich mit einem blauen Nylonfaden seine Lippen zugenäht. "Vielleicht ist es ein Denkanstoß", schrieb er auf der Plattform X unter das erste Bild, das ihn mit zugenähten Lippen zeigt.

Wenig später veröffentlicht er einen längeren Text und kündigt darin einen stillen Protest auf Teherans Straßen an, in Gedenken an einen Freund, den Aktivisten und ehemaligen Journalisten Kianush Sanjari, der sich vergangene Woche in Teheran das Leben genommen hatte.

Viele Aktivisten im Exil oder in Haft

Ronaghi prangert seit Jahren Menschenrechtsverletzungen im Iran an, er gilt als einer der einflussreichsten Kritiker, die sich noch im Land befinden. Auch er war im Zuge der landesweiten Protestwelle 2022 verhaftet worden, nach einem Hungerstreik kam er frei.

Viele iranische Aktivisten und Kritiker haben die Islamische Republik längst verlassen. Andere, wie die Friedensnobelpreisträgerin Narges Mohammadi, sitzen aktuell im Gefängnis.

Menschenrechtsverletzungen im Iran finden daher häufig statt, ohne jemals an die Öffentlichkeit zu kommen. Im November vor fünf Jahren schaltete die iranische Führung gar für mehrere Tage landesweit das Internet ab.

Hunderte starben bei Protesten

Damals protestierten tausende Menschen wegen der schlechten Wirtschaftslage, Auslöser war eine Benzinpreiserhöhung. Schon damals wurden Forderungen nach einem Rücktritt der Führung laut.

Die Behörden gingen daraufhin mit Gewalt gegen die Demonstranten vor, laut Amnesty International sollen mehr als 300 Menschen von staatlichen Einsatzkräften getötet worden sein. Die US-Regierung ging sogar von mehr als 1.000 aus. Iranerinnen und Iraner sprechen seither vom "Blutigen November".

Fünf Jahre später hat sich die wirtschaftliche Lage weiter verschlechtert. Wenn es heißt, die Währung im Iran verliere regelmäßig an Wert, dann ist das nicht nur eine Floskel. Laut Zahlen der Deutschen Bundesbank verlor der Rial von 2015 bis heute im Vergleich zum Euro mehr als 1.700 Prozent an Wert auf dem Schwarzmarkt, wo Iraner einen besseren Kurs erhalten als in den offiziellen Wechselstuben. Die Inflation hingegen steigt stetig an.

Menschenrechtslage nicht verbessert

An der Lage der Menschenrechte hat sich in den vergangenen Jahren nichts verbessert, einzig die Frau-Leben-Freiheit-Proteste im Herbst 2022 nach dem Tod der 22-jährigen Jina Mahsa Amini sorgten dafür, dass sie eine Weile ins Licht der Weltöffentlichkeit rückten.

Nicht selten wird das Thema von der Weltpolitik überlagert, dazu zählt auch der Blick auf das iranische Atomprogramm sowie auf den Konflikt mit Israel. Beides dominiert in Bezug auf Iran regelmäßig die Schlagzeilen.

Als zwei Tage vor der US-Wahl bekannt wurde, dass ein iranisch-amerikanischer Journalist bereits seit Monaten im Iran inhaftiert sein soll, schaffte es diese Meldung hingegen kaum in die Nachrichten. Reza Valizadeh soll für den oppositionellen Sender Radio Farda arbeiten, der von der US-Regierung finanziert wird und von der iranischen Führung als feindliches Medium angesehen wird.

Angehörige von Valizadeh seien im Iran wiederholt festgenommen worden, schrieb er im Frühjahr 2024, um ihn zu einer Rückkehr in den Iran zu bewegen, wie er vermutete. Tatsächlich soll er kurz darauf eingereist sein. Nun, so vermuten Experten, drohe ihm ein Prozess vor einem Revolutionsgericht, das Anhörungen regelmäßig hinter verschlossenen Türen abhält.

"Psychisch krank", wer nicht nach der Scharia leben will

Etwas mehr Aufmerksamkeit erhielt der Fall einer jungen Frau, die Anfang November bis auf die Unterwäsche entkleidet vor dem Campus ihrer Teheraner Universität auf und ab lief. Laut einer Menschenrechtsorganisation soll das Wachpersonal die Frau zuvor wegen ihrer nicht islamisch-konformen Kleidung angegangen sein, einige sprechen davon, dass Teile ihrer Kleidung zerrissen wurde.

Videos, die in den sozialen Netzwerken geteilt wurden, zeigen die Studentin mit verschränkten Armen, nur mit einem BH, Slip und Socken bekleidet. Anschließend ist zu sehen, wie sie in ein Fahrzeug gezerrt wird, mutmaßlich von Einsatzkräften.

Regierungsnahe Medien verbreiten kurz darauf die Meldung, dass die junge Frau unter "psychischen Probleme", litt. Es ist eine Aussage, die sich unabhängig nicht überprüfen lässt. In der Vergangenheit wurde sie jedoch von den Behörden immer wieder als Erklärung benutzt, um Handlungen oder Proteste, die sich gegen den Staat richten, zu diskreditieren. Gerade im Fall derer, die nicht nach der Scharia leben wollen - dazu zählen auch die islamischen Kleidervorschriften.

"Klinik" für Frauen, die gegen Kleidergebote verstoßen

Vor wenigen Tagen gaben die iranischen Behörden nun bekannt, man arbeite an einer "Entzugsklinik" für Frauen, die sich nicht an diese Vorschriften halten wollen. Es wäre eine Initiative, die selbst für die Methoden der Islamische Republik neue Maßstäbe setzen würde.

Die Einrichtung solle Frauen "psychologisch betreuen, heilen und zurück zu islamischen Tugenden führen", teilte die verantwortliche Behörde mit - statt Frauen anzuzeigen und zu verurteilen, wie es weiter heißt. Das Wahlversprechen von Präsident Massud Peseschkian vor einigen Monaten, das teils gewalttätige Vorgehen der Behörden gegen Frauen eindämmen zu wollen, hatten sich Iranerinnen sicher anders vorgestellt.

Hossein Ronaghi, der Menschenrechtsaktivist mit den zugenähten Lippen, entschied sich am Montag, seinen Protest gegen die Mächtigen im Land vom Netz in die echte Welt zu tragen. Auf der Vali-Asr-Kreuzung im Zentrum Teherans versuchte er einen Sitzstreik, als er von rund 20 Einsatzkräften festgenommen worden sein soll, berichtete unter anderem BBC Farsi.

Nach vier Stunden sei er wieder auf freien Fuß gekommen, schrieb Ronaghis Vater in den sozialen Medien. Hossein Ronaghi selbst sprach auf der Plattform X gestern von Beleidigungen und sexueller Belästigung durch Beamte. Seinen Protest will er aber weiterführen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten die tagesthemen am 19. September 2022 um 22:15 Uhr.