Nach einer Razzia in Myawaddy (Myanmar) sitzen Befreite aus einem Online-Betrugszentrum auf dem Boden.

Online-Kriminalität Befreit aus den Scam-Fabriken Myanmars

Stand: 06.03.2025 08:21 Uhr

In Myanmar sind in den vergangenen Wochen Tausende Menschen aus Zentren für Online-Betrug befreit worden. Doch dazu war brachialer Druck der Nachbarstaaten erforderlich. Und Hunderttausende werden weiter wie Sklaven gehalten.

Der 21-jährige Faysal ist erleichtert. Er wurde vor wenigen Tagen aus einem der vielen Scam-Zentren in Myanmar befreit. Von seinen Chefs hatte er bis dahin täglich Listen mit Telefonnummern bekommen. Die kontaktierte er über Messengerdienste wie WhatsApp.

Wir haben Beziehungen mit den Personen aufgebaut. Ich habe mich dafür meist als Frau ausgegeben, nicht als Mann. Der Klient auf der anderen Seite war männlich. Und wenn der Klient gesagt hat, 'Ich liebe dich', dann haben wir angefangen, sein Gehirn zu waschen, um an sein Geld zu kommen.
Shwe Kokko an der Grenze Myanmars zu Thailand.

Shwe Kokko an der Grenze Myanmars zu Thailand lockt mit Glückspiel zahlreiche Touristen in der Region an. Aber in der Stadt gibt es auch viele Zentren des Online-Betrugs.

Gelockt mit falschen Versprechen

Faysal aus Bangladesch gehört zu einer Gruppe von rund 7.000 Männern und Frauen, die in den vergangenen Wochen aus mehreren Betrugszentren in Myanmar befreit wurden.

Wie er wurden auch viele andere mit dem Versprechen auf einen lukrativen Bürojob angelockt. Doch statt, wie versprochen, an einem Schreibtisch in Thailand, fand er sich in einem Scam-Zentrum in Myanmar wieder. Teils 16 Stunden am Tag musste er Menschen auf der ganzen Welt mit falschen Romanzen, Investitions-Scams und illegalem Glücksspiel finanziell ausbeuten.

"Als ich den Ort erreicht habe, habe ich sofort gemerkt, dass irgendwas nicht stimmt", erzählt Faysal einem Reporter der Nachrichtenagentur Reuters. "Es waren zu viele Soldaten da, zu viele bewaffnete Sicherheitskräfte. Ich habe einen meiner Kollegen gefragt: 'Was passiert hier? Was ist das für ein Job?' Und noch am selben Abend habe ich gesagt: 'Ich möchte zurück, ich möchte hier nicht arbeiten.'"

Befreite aus einem Online-Betrugszentrum verlassen mit einer Fähre Myanmar und werden nach Thailand gebracht.

Sie können Myanmar verlassen und mit einer Fähre nach Thailand einreisen. Doch viele andere Befreite warten noch darauf, heimkehren zu können.

Flucht ist kaum möglich

Doch wer erstmal in einem Scam-Zentrum gefangen ist, kommt nicht so einfach wieder weg. Dem drohe Folter, erzählt der Indonesier Jo. "Wenn wir unser Ziel nicht erreicht hatten, wurden wir behandelt wie Tiere. Wir wurden geschlagen, elektrogeschockt und wurden gezwungen, 1000 Push-ups oder Kniebeugen zu machen, während wir einen schweren Gegenstand tragen mussten."

Viele der Männer haben blaue Flecken und Narben auf dem Rücken, an Armen und Beinen. Faysal berichtet von offenen Drohungen der Aufpasser. "Wenn einer nicht arbeiten wollte, dann haben sie gesagt: 'Wir haben hier einen der größten Märkte für Organhandel, Nieren, Augen, all das. Wir können alles mit eurem Körper machen.'"

Myawaddy an der Grenze Myanmars zu Thailand.

Der Blick auf den Grenzort Myawaddy mit seinen goldenen Kuppeln zeigt nur einen Teil der Realität. Auch dort werden viele Verschleppte zum Online-Betrug gezwungen.

Weltweiter Schaden

Ihn plagen Schuldgefühle für das, was er anderen Menschen weltweit angetan hat. Durch "Scammer" wie ihn haben Menschen schon ihr gesamtes Erspartes verloren, ihre Rente, ihr Haus. Der weltweite Schaden wird von der Global Anti-Scam Alliance für das Jahr 2024 auf rund eine Billion Euro geschätzt.

Unklar bleibt, ob die Razzien in Myanmar das dortige Online-Betrugssystem zerschlagen können, oder ob sich die Strukturen schnell an anderer Stelle neu formieren.

Seit Jahren haben kriminelle Netzwerke Hunderttausende Menschen in Betrugszentren in Südostasien verschleppt, so die Vereinten Nationen. Allein in Myawaddy, einer Grenzstadt in Myanmar, würden 300.000 Scammer arbeiten, schätzt Rangsiman Rome, ein thailändischer Oppositionspolitiker. "Und wie viele Menschen haben wir bisher gerettet? Weniger als 10.000. Wir zerstören weit weniger als zehn Prozent dieses Geschäfts."

Er fordert ein noch härteres Vorgehen der thailändischen Regierung, besonders gegen die Drahtzieher.

Ein prominenter Fall und seine Folgen

Die aktuellen Razzien werden von Thailand, Myanmar und China koordiniert. Es ist die größte Befreiungsaktion seit dem Aufblühen dieses Betrugsgeschäfts. Es wuchs massiv in der Zeit der Covid-Pandemie und im Schatten des Bürgerkriegs in Myanmar.

Auslöser für die großangelegten Razzien war die Entführung des bekannten chinesischen Schauspielers Wang Xing. Er wurde mit einem attraktiven Filmauftrag nach Thailand gelockt und von dort nach Myanmar verschleppt. Dies führte zu großer Unruhe in China, Thailand galt nicht mehr als sicheres Reiseland.

Seitdem hat die chinesische Regierung ihren Druck auf Thailand und Myanmar noch mal verstärkt, gegen die Scam-Zentren vorzugehen. Thailand durchtrennte im vergangenen Monat zuerst Strom- und Internetkabel in Richtung Myanmar, kappte die Treibstoffzufuhr und verschärfte die Grenzkontrollen.

Betrugszentren an der Grenze sollen daraufhin mit Hilfe von Generatoren weiterbetrieben worden sein. Auf dem Weg nach Mae Sot, einer thailändischen Grenzstadt zu Myanmar, sind inzwischen große Warnschilder aufgestellt. Auf Thai, Englisch und Chinesisch warnen sie vor dem Risiko, von hier nach Myanmar in ein Betrugszentrum verschleppt zu werden.

 

Tausende warten auf die Heimreise

In Folge der Razzien warten die 7.000 befreiten Menschen jetzt in provisorischen Lagern auf ihre Heimreise. Sie kommen unter anderem aus China, den Philippinen, Thailand, Brasilien, Nepal oder Äthiopien - aus mehr als 24 Ländern. Auf dem Boden von offenen Hallen harren sie aus, dem heißen Wetter und Moskitos ausgesetzt.

Tausende Menschen mit Unterkünften, sanitären Einrichtungen und Essen zu versorgen, überfordere die thailändische und burmesische Seite, warnen Menschenrechtsorganisationen und Helfer vor Ort. Sie machen sich Sorgen, dass sich Krankheiten schnell ausbreiten könnten, wenn die Situation noch länger anhält.

Amy Miller, Südostasien-Direktorin der kirchlichen Hilfsorganisation Acts of Mercy International, packt Duschgel, Zahnpasta und Toilettenpapier in einen Beutel. Sie beobachtet die prekäre Lage in der thailändischen Grenzstadt Mae Sot. "Die Situation erfordert eine gemeinsame Kraftanstrengung. Die jeweiligen Botschaften sind gefragt und die Regierungen der Befreiten. Sie müssen Verantwortung für ihre Bürgerinnen und Bürger übernehmen."

In Myawaddy (Myanmar) sitzen in einem Innenhof Menschen auf dem Boden, die mit einer Razzia aus einem Zentrum für Online-Betrug befreit wurden.

Wie geht es nun mit ihnen weiter? Diese Menschen wurden in Myawaddy befreit, aber ihre Betreuung vor Ort überfordert die Behörden.

Wer ist Täter, wer Opfer?

Die ersten, die nach Hause durften, waren chinesische Staatsbürger. Sie wurden wie Verbrecher von je zwei Beamten abgeführt. Ein Grund dafür: Noch ist bei vielen unklar, wer ist Opfer, wer Täter?

Viele der Befreiten sind vermutlich Opfer. Doch es gibt auch Scammer, die freiwillig nach Myanmar reisen, weil sie dort besser verdienen können als in ihrer Heimat.

Und hinter vielen Scam-Zentren stecken chinesische kriminelle Netzwerke. Faysal aus Bangladesch hofft, dass er bald nach Hause kann. Er sagt: "Wir sind keine Scammer. Wir sind Opfer."

Die thailändische Regierung hat ihre Razzien inzwischen auch auf Kambodscha ausgeweitet. Hier haben die Behörden mehr als 200 Menschen aus einem Betrugszentrum gerettet. Die thailändische Regierung prüfe zudem den Bau einer Mauer an einem Teil der Grenze zu Kambodscha. Dies solle den illegalen Grenzübertritt verhindern.

Jennifer Johnston, ARD Singapur, tagesschau, 05.03.2025 12:56 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 05. März 2025 um 10:50 Uhr.