Husam Ayad
Reportage

Aufenthaltsstatus von Menschen aus Gaza Kein Vor und kein Zurück

Stand: 16.03.2025 13:36 Uhr

Tausende ehemalige Gastarbeiter aus dem Gazastreifen sitzen seit dem 7. Oktober 2023 in Israel und dem Westjordanland fest und gelten als "Illegale". Auch Patienten sind betroffen. Sie wiederum fürchten eine Abschiebung.

Husam Ayad kramt in einer Plastiktüte. Der ehemalige Gastarbeiter aus dem Gazastreifen sitzt auf einer Matratze mit schmutzigen Kissen und ein paar Decken in einem Keller. "Etwas Kleidung, eine Kaffeetasse, ein paar Konserven. Das ist alles", sagt er. Auf Klapptischen liegen Kartoffeln und Auberginen gespendet von Bewohnern des Dorfes Burqin im nördlichen Westjordanland.

Seit 16 Monaten haust Husam hier dicht gedrängt im Keller mit anderen Männern aus dem Gazastreifen, die sich vor dem Krieg in Israel aufgehalten haben - legal mit Arbeitserlaubnis. Er habe als Koch in Tel Aviv gearbeitet, erzählt Husam Ayad. Dann kam der 7. Oktober 2023.

Ohne Erlaubnis keine Ausreise und keine Beerdigung

Kurz darauf erklärte Israel die Arbeitsgenehmigungen der palästinensischen Gastarbeiter für ungültig. Husam wurde über Nacht zum "Illegalen". "Als der Krieg ausbrach, haben sie uns ins Westjordanland gebracht", erzählt er. "Sie sagten, ihr dürft nicht nach Hause. Ich will in meine Heimat zurück. Wenn ich dort sterbe, akzeptiere ich das." Er wolle seine Kinder sehen. Die, die noch leben, fügt er hinzu. Das seien zwei Söhne und eine Tochter, zählt er auf. "Meine Tochter, mein Sohn, meine Frau und meine Schwester sind im Gazastreifen gestorben - unter den Trümmern. Man hat sie noch nicht geborgen."

Husam will seine Familie beerdigen. Doch sein Antrag in den Gazastreifen zurückzukehren, blieb ohne Erfolg. Den anderen Männern geht es genauso. Sie alle wollen zurück zu ihren Familien, sagen sie. Doch das sei ihnen verwehrt. Die Gefühle könne er nicht in Worte fassen, sagt Husam und schaut sich um. Hier im Untergeschoss gebe es niemanden, der nicht im Krieg im Gazastreifen einen Angehörigen verloren habe. Eine Gruppe Männer hat sich um einen Tisch versammelt. Sie nicken.

3.800 ehemalige Gastarbeiter sitzen im Westjordanland fest

Vor dem Krieg hatte Israel laut Menschenrechtsorganisationen etwa 18.500 Menschen aus dem Gazastreifen eine Arbeitserlaubnis erteilt. Nach dem 7. Oktober 2023 wurde sie ihnen entzogen. Wie viele Menschen seitdem in Israel und im Westjordanland festsitzen - in Freiheit oder im Gefängnis -, ist unklar. Eine Anfrage der ARD beim Gesundheitsministerium der Palästinensischen Autonomiebehörde hat ergeben, dass allein im Westjordanland noch mindestens 3.800 ehemalige Gastarbeiter aus dem Gazastreifen in teils prekären Verhältnissen leben sollen.

Für weitere 4.500 Gastarbeiter aus dem Gazastreifen habe die Behörde bereits zu Kriegsbeginn die Rückkehr organisiert und mit Partnern koordiniert. Insgesamt seien nach dem 7. Oktober 2023 - nach dem Angriff der Terrororganisation Hamas auf Israel - 12.000 Gastarbeiter aus dem Gazastreifen ins Westjordanland "transferiert" worden, heißt es in dem schriftlichen Statement.

Die zuständige Koordinierungsstelle COGAT im israelischen Verteidigungsministerium äußerte sich auf ARD-Anfrage weder zu Zahlen noch zu Rückkehrmöglichkeiten. Die Behörde kümmert sich unter anderem um Ein- und Ausreisen von Menschen aus dem Gazastreifen.

Festnahmen ohne Zugänge zu Anwälten

Der Menschenrechtsorganisation Gisha aus Tel Aviv sind Hunderte Fälle bekannt, bei denen ehemaligen Gastarbeitern die Rückkehr in den Gazastreifen verwehrt wurde. Das gehe bis hin zu illegalen Verhaftungen - ohne einen Zugang zu einem Anwalt, sagt Sprecherin Shai Grunberg. Die Organisation setzt sich für die Belange von Palästinensern ein.

Tausende Menschen aus dem Gazastreifen seien über Nacht zu Menschen ohne Rechte und ohne Status geworden, zu "Illegalen". "Israel hat darüber hinaus keinen Mechanismus geschaffen, wie sie in den Gazastreifen zurückkönnen", sagt Grunberg. "Sie bleiben von ihren Familien getrennt. Die Intransparenz darüber hat System."

Die Nichtregierungsorganisation Gisha ist nach eigenen Angaben bis vor das Oberste Gericht in Israel gezogen, um Informationen über Betroffene zu erhalten und um Rückkehr- oder legale Aufenthaltsmöglichkeiten einzufordern.

Patienten aus dem Gazastreifen fürchten Abschiebungen

Während viele ehemalige Gastarbeiter alles daran setzen, in den Gazastreifen zurückkehren zu können, fürchten schwer kranke Patienten, dass sie abgeschoben werden könnten. Die Patienten aus dem Gazastreifen haben laut Menschenrechtsorganisationen seit Kriegsbeginn keinen legalen Aufenthaltsstatus in Israel. Dies setze sie der Willkür der Behörden in Israel aus und öffne Tür und Tor für willkürliche Verhaftungen, warnt Aseel Abu Raz von der Menschenrechtsorganisation "Ärzte für Menschenrechte" in Israel (Physicians for Human Rights).

"Die Patienten sind gefangen zwischen der Situation im Gazastreifen und ihrem ungeklärten Aufenthaltsstatus in Israel", sagt Abu Raz. "Medizinische Behandlungen dürfen nie durch Zwangsabschiebungen unterbrochen werden." Patienten sollten selbst wählen dürfen, ob sie in den Gazastreifen zurück möchten oder einen legalen Aufenthaltsstatus in Israel bekommen.

Israelische Krankenhäuser behandeln Patienten auf Einzelfallbasis

Israelische Krankenhäuser behandeln Patienten aus dem Gazastreifen. Viele von ihnen haben schwere, lebensbedrohliche Erkrankungen. Die Patienten waren bereits vor Kriegsbeginn in Israel.

Ob sie bleiben können, hänge von der medizinischen Rechtfertigung ab, teilte die Regierungsbehörde COGAT dem ARD-Studio Tel Aviv mit. Patienten, die ihre Behandlung abgeschlossen hätten und nicht aus medizinischen Gründen bleiben müssten, würden abgeschoben, heißt es weiter. Zahlen zu den Betroffenen nannte COGAT nicht.

Sheba Krankenhaus bei Tel Aviv

Kliniken, die Patienten aus dem Gazastreifen behandeln, stehen vor einer Menge Hürden - wie das Sheba-Krankenhaus bei Tel Aviv.

Mohammad braucht Medikamente, die es im Gazastreifen nicht gibt

Einer dieser Patienten, die seit mehr als 16 Monaten in Israel in Behandlung ist und vorerst bleiben darf, ist Mohammad Abu Ghalwa. "Ich habe geweint", sagt der Fünfjährige. "Es hat weh getan." Er zeigt auf einen Schlauch, der aus seinem Bauch kommt. Weil er eine Erbkrankheit hat und sein Immunsystem versagt, bekommt er im Sheba-Krankenhaus bei Tel Aviv Medikamente und Spezialnahrung, erklärt seine Mutter Nisma Abu Ghalwa, die vor Kriegsbeginn aus dem Gazastreifen herkam. "Er übergibt sich, hat Durchfall und Fieber. Seine Leber und Milz sind vergrößert", sagt Nisma.

Mohammad trägt einen Beutel am Bauch, der seinen Stuhl auffängt. Er braucht Medikamente, die es im Gazastreifen nicht gibt. Deshalb müsse er in Israel bleiben, Krieg hin oder her, sagt Krankenhaussprecher Steve Walz. Er betont, dass das Krankenhaus viele palästinensische Kinder und Erwachsene behandelt, die beispielsweise an Krebs erkrankt sind. "Die Politik lassen wir vor der Tür, wenn wir morgens reinkommen", sagt Walz. "Für uns spielt es keine Rolle, was draußen vor sich geht."

Bettina Meier Mohammad Abu Ghalwa

Der fünfjährige Mohammad liegt seit 16 Monaten im Krankenhaus. Interessiert hält er das Mikrofon von ARD-Korrespondentin Bettina Meier.

Eine Abschiebung käme einem Todesurteil gleich

Mohammads Mutter Nisma ist dem Krankenhaus dankbar, dass es sich gegen die Behörden gestellt habe, damit sie nicht abgeschoben werden. Für ihren Jungen wäre das ein Todesurteil. Nur eine Knochenmarkspende kann ihn retten. Bei der Suche haben die Ärzte bislang noch keinen Erfolg gehabt. "Es ist schwer, weil wir hier ohne Familie sind und Mohammad ohne seinen Vater aufwächst", sagt Nisma. "Aber es macht es leichter, weil sich die Ärzte um uns kümmern."

Seit 16 Monaten schläft die 34-Jährige auf einem Kippsessel neben dem Krankenhausbett. Oft denke sie an ihren anderen Sohn, der im Gazastreifen bei einem Luftangriff getötet wurde, sagt Nisma. Was die Zukunft bringe, wisse sie nicht. Bloß dass ihr einziger noch lebender Sohn Mohammad nur hier in Israel eine Chance zu überleben hat.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 15. März 2025 um 12:41 Uhr.