Frauen in Kabul (Afghanistan) stehen vor Hilfsgütern der Vereinten Nationen.

Herrschaft der Taliban Afghanistan ohne Hoffnung

Stand: 15.02.2025 09:02 Uhr

Dreieinhalb Jahre nach dem chaotischen Abzug westlicher Truppen aus Afghanistan ist die Lage dort prekär. Frauenrechte werden immer stärker eingeschränkt, die wirtschaftliche Not ist groß. Nun fällt auch noch US-Hilfe weg.

Von Franziska Amler, ARD Neu-Delhi

Eine Dekret von US-Präsident Donald Trump zeigt Folgen. Der Stopp der US-Auslandshilfen wirkt sich unmittelbar auf Afghanistan aus. Kliniken, kleine Gesundheitszentren, mobile medizinische Teams - sie alle haben laut den Taliban in den Provinzen Ghazni und Bamyan in Zentralafghanistan bereits ihren Betrieb eingestellt.

Insgesamt soll es sich laut dem afghanischen Nachrichtensender Tolonews um 41 Gesundheitseinrichtungen handeln.

Viele Bedürftige werden nicht mehr versorgt

Die Auswirkungen dieser Entscheidung seien dramatisch, sagt Afghanistan-Experte Thomas Ruttig. Der Mitbegründer des Afghanistan Analysts Network steht im regelmäßigen Austausch mit Kontakten, die er über Jahrzehnte Tätigkeit vor Ort aufgebaut hat.

Ruttig bestätigt, dass einheimische sowie internationale Organisationen in Afghanistan bereits bestimmte Projekte und Programme einstellen mussten. "Nahezu täglich kommen neue hinzu", so Ruttig. 

Die Kürzung der Hilfe gefährdet das Leben unzähliger Afghaninnen und Afghanen noch stärker. Das Welternährungsprogramm warnt, dass es nur noch die Hälfte der bedürftigen Menschen versorgen könnte. Viele lebten mittlerweile nur noch von Brot und Tee, heißt es.

Die USA waren bislang mit Abstand der größte Geldgeber für humanitäre Hilfe im Land. Doch kurz nach seiner Vereidigung im Januar ließ Präsident Trump fast alle Auslandshilfen seines Landes für drei Monate einfrieren, auch die für Afghanistan. "Wenn nun auch noch die USA die wenigen verbleibenden humanitären Überlebensstrategien untergraben, dann wird es wirklich katastrophal in Potenz", sagt Ruttig.

Ein Mann in Kabul (Afghanistan) sitzt neben Hilfsgütern der Vereinten Nationen.

Internationale Hilfe kann einen Teil der Not in Afghanistan lindern wie hier in Kabul. Doch sie erreicht bei weitem nicht alle, die hilfebedürftig sind.

Der IS ist weiter aktiv

Die radikalislamischen Taliban hatten im August 2021 nach jahrelanger westlicher Militärpräsenz die Macht in Afghanistan zurückerobert und ein islamisches Emirat ausgerufen.

Die Sicherheitslage hat sich seither zwar insgesamt deutlich beruhigt. Doch bewaffnete Gruppen sorgen nach wie vor für Instabilität.

Dazu gehöre der lokale Ableger des "Islamischen Staates", aber auch einige Anti-Taliban-Gruppen, erklärt Ruttig. Allein in dieser Woche kam es in Afghanistan zu zwei Selbstmordanschlägen, bei denen mehrere Menschen ums Leben kamen.

Systematische Entrechtung von Frauen

Als die Taliban 2021 die Macht im Land ergriffen, versprachen sie Frauenrechte zu respektieren - allerdings mit der Einschränkung "gemäß der Scharia". Seither haben sie im Land ihre strenge Auslegung des Islam durchgesetzt. Heute ist das Land ein düsteres Beispiel für die systematische Entrechtung von Frauen und Mädchen.

Laut Ruttig ist die Lage für sie so schlecht wie nie zuvor und mit wenigen Ausnahmen auch so schlecht wie nirgendwo anders auf der Welt. Ein besonders sichtbares Symbol dieser Unterdrückung: Mädchen dürfen nur noch bis einschließlich der sechsten Klasse in die Schule. Ausbildung und Uni bleiben ihnen verwehrt.

Auch der Arbeitsmarkt wurde für Frauen drastisch eingeschränkt. Erst vor wenigen Wochen berichteten die Vereinten Nationen, dass ab sofort auch Hebammen und Krankenschwestern ihre Ausbildungen nicht mehr fortsetzen dürfen.

Selbst die Bauvorschriften werden geändert

Schon zuvor war es Frauen verboten worden, ihr Gesicht in Anwesenheit fremder Männer zu zeigen und Parks und öffentlichen Plätze zu besuchen. Außerdem untersagte die Taliban-Regierung den Einbau von Fenstern in neuen Gebäuden: Man darf nicht mehr in die Bereiche schauen, in denen sich Frauen bewegen.

Besonders schwierig gestaltet sich die Arbeit von Hilfsorganisationen, die sich mit Rücksicht auf die Programmarbeit vor Ort derzeit nicht öffentlich äußern können. In Kabul und einigen Provinzen hätten sie mit den Taliban Ausnahmeregelungen aushandeln können, doch diese seien äußerst fragil, sagt Ruttig. "Über diese Nischen reden sie auch nicht gerne, denn wenn es der Falsche bei den Taliban erfährt, sind diese Nischen dann auch schnell wieder weg."

Die massiven Einschränkungen der Frauenrechte werden von Menschenrechtsexperten - auch bei den Vereinten Nationen - als "Geschlechter-Apartheid" bezeichnet.

International isoliert

Auch deshalb ist die Taliban-Regierung bis heute von keinem Staat und keiner internationalen Organisation anerkannt worden. Das hat Folgen. Abschiebungen gestalten sich wegen der internationalen Isolierung der Taliban schwierig.

Vor dem Hintergrund des Anschlags in München am Donnerstag zeigten sich die Taliban aber bereit, bei Abschiebungen von Asylbewerbern mit der Bundesregierung zusammenzuarbeiten.

Der Sprecher des Außenministeriums der Taliban, Abdul Kahar Balchi, erklärte, dass man bereit sei, konsularische Dienste für Afghanen in Deutschland wieder aufzunehmen.

Die Taliban wollen direkte Gespräche

Die diplomatischen Missionen Afghanistans in Deutschland hatten im vergangenen Jahr ihre Tätigkeit weitgehend eingestellt. Die Diplomaten waren noch vor der Machtübernahme der Taliban entsandt worden und lehnten Anweisungen aus Kabul ab.

Lediglich das Generalkonsulat in Grünwald bei München stellt derzeit noch Dokumente aus, die mögliche Abschiebungen erleichtern. Allerdings verlangen die regierenden Radikalislamisten für die Aufnahme afghanischer Straftäter aus Deutschland direkte Gespräche - Abschiebungen über Nachbarländer wie Pakistan lehnen sie ab.

Kritiker befürchten, dass es den Taliban darum geht, sich durch die Zusammenarbeit mit einem westlichen Staat internationale Anerkennung zu verschaffen.

Vor jahrzehntelanger Herrschaft?

Trotz schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen und einer tiefen wirtschaftlichen Krise gibt es wenig Aussicht auf einen schnellen Wandel. "Ich sehe keine wirkliche Alternative zu den Taliban, was dazu führen könnte, dass ihr Regime noch eine Weile bestehen bleibt", konstatiert Afghanistan-Experte Ruttig.

Ein Blick auf den benachbarten Iran zeige, wie lang so etwas dauern kann, trotz einer deutlich stärkeren Opposition dort.