Argentiniens Präsident Milei Besuch eines schwierigen Gastes
Wirtschaftspolitisch fährt der argentinische Präsident Milei einen libertären Kurs. Gegen die Demokratie wettert er - und wurde zum Shootingstar der globalen Rechten. Nun ist er zu Besuch in Deutschland.
Verzerrte Gitarren, zuckendes Strobolicht, schwarzer Ledermantel zur Krawatte: Argentiniens Präsident Javier Milei ist kein Fan von staatsmännischen Auftritten. Lieber präsentiert er sich als Rockstar vor begeisterten Fans. Wie vor wenigen Wochen bei der Vorstellung seines neuen Buches in Buenos Aires.
Ein Manifest zur Verteidigung des Libertarismus, aber auch ein Aufruf zum Kulturkampf gegen alles, was aus seinen Augen die Freiheit bedrohe: der Staat, Feministinnen, Klimaschützer.
"Wir müssen den Kulturkampf führen, sowohl in den Klassenzimmern als auch anderswo", mahnt der Präsident. "Denn wenn wir die Ideen der Freiheit nicht verteidigen, werden die Linken uns übernehmen, also heult nicht, kämpft! Es lebe die Freiheit, verdammt noch mal!"
"Leuchtturm" für den freien Markt
Sechs Monate ist Milei nun im Amt, in dieser Zeit hat er Argentinien einen radikalen Sparkurs verordnet. Die Armut stieg, die Inflation ging zurück. Die Zeitschrift Times wählte Milei zu einer der bedeutendsten Persönlichkeiten des Jahres; viele Liberale, auch in Deutschland, feiern ihn als neuen Propheten eines freiheitlichen Wirtschaftsprogramms.
"Wenn man so möchte, ist er - was die Idee eines freiheitlichen Marktes angeht - auf jeden Fall ein Leuchtturm", sagt Federico Foders, der 30 Jahre lang für das Kieler Institut für Weltwirtschaft tätig war. "Und das ist sehr überraschend für viele Menschen in der Welt. Warum? Weil es aus Argentinien kommt. Nicht aus den USA oder aus Europa."
Das Parlament? Ein "Rattennest"
Gesellschaftspolitisch ist Milei höchst reaktionär. Auch mache er keinen Hehl daraus, dass er an demokratischen Prozessen eher weniger Interesse hat, analysiert Soziologe Sergio Morresi, der zu Liberalismus und rechten Strömungen forscht. Das argentinische Parlament nannte Milei ein "Rattennest", kritische Journalisten beschimpft er wüst, auf Demonstrationen reagiert seine Regierung mit Repression.
"Seine bisherigen politischen Aktionen deuten darauf hin, dass er eben keine liberale, keine pluralistische Vision von Demokratie hat", so Morresi. "Der Andere ist dabei nicht nur jemand, der anders denkt, sondern jemand, der Unrecht hat und den er darüber hinaus als Vertreter des Schlechten, des Bösen, zeichnet. Aber wenn Politik in die moralischen Begriffe 'Gut' oder 'Böse' unterteilt wird, dann sind wir in echten Schwierigkeiten."
Nähe zu Rechtspopulisten
Applaus bekommt Milei zunehmend auch von Rechtspopulisten. So trat er vor Kurzem bei einem internationalen Treffen rechter und ultrarechter Parteien in Madrid auf.
Für Rodolfo Distel, der einen kleinen Buchladen für libertäre und anarchokapitalistische Literatur im reichen Speckgürtel von Buenos Aires führt, steht Milei für etwas, das nicht nur in Argentinien passiert. "Schauen Sie sich Trump an, Bolsonaro, Meloni. Und dann wird das aber sofort als rechtsextremistisch abgestempelt, das sehe ich nicht so." Vielmehr zähle, was diese Politiker täten. "Sie schlagen vor, den Menschen mehr Freiheit zu geben und dir den Staat vom Leib zu schaffen."
Der 61-jährige Distel war es, der auch die ersten Bücher Mileis herausgab. Früher arbeitete er unter anderem für die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, die Seminare und Konferenzen mit Milei veranstaltete - bis sich die Stiftung von ihm distanzierte.
Zwar gehe dessen Wirtschaftspolitik in die richtige Richtung, teilte Hans-Dieter Holtzmann, Projektleiter der Stiftung in Argentinien, der ARD schriftlich mit. "Allerdings zeigt Javier Milei eine irritierende Nähe zu internationalen Rechtspopulisten, und auch sein konfrontativer Politikstil ist mit den Werten und Überzeugungen der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit nicht vereinbar."
Keine militärische Ehren, keine Pressekonferenz
Für die neoliberale Hayek-Gesellschaft allerdings scheint das weniger ein Problem: Sie verleiht Milei heute in Hamburg ihre Medaille. Redner wird neben Milei auch der ehemalige Verfassungsschutzpräsident und Werteunion-Chef Hans-Georg Maaßen sein.
Am Sonntag trifft der argentinische Staatschef dann Bundeskanzler Olaf Scholz - einen Sozialdemokraten, was durchaus bemerkenswert ist. Auf insgesamt sieben Auslandsreisen traf Milei neben Unternehmern nur drei Regierungschefs - und zwar solche, die ihm politisch nahestanden.
Die Bundesregierung habe beschlossen, pragmatisch mit Milei umzugehen, glaubt Susanne Kaess, von der Konrad-Adenauer-Stiftung: "Ich denke, man hat sich bewusst dafür entschieden, nicht von Anfang an zu ideologisch zu agieren. Das hatte man damals bei Jair Bolsonaro gemacht. Und das hat auch dazu geführt, dass Deutschland in Brasilien Türen zugeschlagen worden sind."
Argentinien ist für Deutschland nicht nur als Markt interessant, sondern auch als Rohstofflieferant - etwa bei Lithium. Außerdem hofft man auf einen Verbündeten in Milei, um irgendwann doch noch das umstrittene Mercosur-Handelsabkommen abschließen zu können. Allerdings wird es nun doch kein Empfang, sondern ein "Arbeitsbesuch" werden, ohne militärische Ehren. Und auch ohne gemeinsamen Auftritt vor der Presse.
In einer vorheriger Version des Textes war von der Hayek-Stiftung die Rede. Es geht in diesem Fall aber um die Hayek-Gesellschaft. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.
Mehr zum Hintergrund dieser und anderer Korrekturen finden Sie hier: tagesschau.de/korrekturen