Kreuz auf einem Wörterbuch mit dem Wort Missbrauch. © picture alliance / Bildagentur-online/Ohde Foto: Bildagentur-online/Ohde

Missbrauch in evangelischer Kirche: Aufarbeitung verzögert sich

Stand: 13.03.2025 20:31 Uhr

Auf Druck von Betroffenen haben zwei Mitglieder der niedersächsischen Aufarbeitungskommission für sexuelle Gewalt angekündigt, auf ihre Ämter zu verzichten. Die Landesregierung reagiert verärgert.

von Florian Breitmeier

Im vergangenen Herbst hatte die Niedersächsische Landesregierung zwei Mitglieder für die Unabhängige Regionale Aufarbeitungskommission (URAK) benannt: Die frühere grüne Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz und die ehemalige SPD-Landtagsabgeordnete Thela Wernstedt, die heute Präsidentin der Klosterkammer Hannover ist. NDR Recherchen zufolge wollen beide nun nicht mehr in der Aufarbeitungskommission mitarbeiten. Der Grund: Eine Mehrheit der Betroffenenvertretung für Niedersachsen und Bremen hat sich gegen eine Zusammenarbeit mit Thela Wernstedt und Antje Niewisch-Lennartz ausgesprochen. Der Vorwurf lautete: Diese seien zu kirchennah.

Keine Definition für "kirchennah"

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Thela Wernstedt ist Präsidentin der Landesbehörde Klosterkammer Hannover. Sie engagiert sich im Präsidium des Deutschen Evangelischen Kirchentags und in weiteren evangelischen Gremien. Antje Niewisch-Lennartz hingegen hatte nach der erfolgten Benennung für die URAK ihre langjährige ehrenamtliche Mitarbeit in der hannoverschen Landessynode beendet. Es gebe keine Definition was "kirchennah" sei, sagte Antje Niewisch-Lennartz auf NDR Anfrage. Für sie sei aber völlig klar, dass sie nicht gegen ein mehrheitliches Votum von Betroffenen in einem Gremium zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt mitarbeiten könne. Dies sei ihre feste Überzeugung. Ähnlich äußerte sich auf NDR Anfrage auch Thela Wernstedt. Die jüngste Entwicklung habe sie dazu veranlasst, das vom Land übertragene Amt nicht anzutreten, teilte eine Sprecherin der Klosterkammer mit.

Landesregierung nennt Kritik "unhaltbar"

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Arbeit der Aufarbeitungskommission liegt vorerst auf Eis

Die Landesregierung bedauert es sehr, sieht sich aber derzeit außerstande, die Arbeit der Kommission durch Benennung anderer Personen zu unterstützen. Man befürchte, so heißt es weiter, dass auch alle weiteren etwaig von der Landesregierung zu nennenden Personen befürchten müssten, einem Screening unterworfen zu werden und dann gegebenenfalls unsachlichen Vorwürfen entgegentreten zu müssen. "Dies sei nicht zumutbar", so eine Sprecherin der Landesregierung. Völlig offen ist damit, ob und wann die Landesregierung in den Prozess wieder einsteigen möchte. Klar ist: Mit den jüngsten Entscheidungen liegt die Arbeit der Unabhängigen Regionalen Aufarbeitungskommission in Niedersachsen und Bremen erst einmal auf Eis.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Niedersachsen | Aktuell | 14.03.2025 | 10:00 Uhr

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