Arztteam rollt Patient auf Klinikbett durch einen Krankenhausflur.

Niedersachsen Hamburg Schleswig-Holstein Mecklenburg-Vorpommern Krankenhausreform beschlossen: Nord-Länder geteilter Meinung

Stand: 23.11.2024 11:17 Uhr

Der Bundesrat hat die umstrittene Krankenhausreform am Freitag passieren lassen, ohne den Vermittlungsausschuss anzurufen. Dies hatte zum Beispiel Schleswig-Holsteins Gesundheitsministerin von der Decken (CDU) empfohlen. Dennoch enthielt sich SH sich bei der Abstimmung - und nicht nur dort stellte die Reform den Zusammenhalt einer Landesregierung auf die Probe.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sagte im Bundesrat, dass zurzeit 50 Prozent der Krankenhäuser Defizite machten und 30 Prozent der Betten leer stünden - und appellierte an die Länder, das Gesetz passieren zu lassen. Dieses sei eine "einmalige Chance, Zehntausenden Menschen pro Jahr eine bessere Versorgung zukommen zu lassen." Bei der Abstimmung kam dann ein Antrag Bayerns auf Anrufung des Vermittlungsausschusses nicht auf die nötige Mehrheit. Das Reform-Gesetz soll nun Anfang 2025 Schritt für Schritt in Kraft treten.

Niedersachsen: Minister Philippi lobt Bundesratsbeschluss

Der niedersächsische Minister Andreas Philippi (SPD) begrüßte den Bundesratsbeschluss: "Ich freue mich über das verantwortungsvolle Agieren der meisten Länder am heutigen Tag. Der Vermittlungsausschuss wäre das Ende der Krankenhausreform gewesen." Nun gebe es "Planungssicherheit und nicht zuletzt auch mehr Geld für die Krankenhäuser". Auf diesen Moment habe er lange hingearbeitet, sagte der SPD-Politiker: "Es lässt sich mit Fug und Recht feststellen, dass eine deutliche niedersächsische Handschrift im KHVVG zu erkennen ist. Uns ist zugleich bewusst, dass diese Reform noch nicht perfekt ist und noch sehr viel Arbeit auf uns wartet."

Niedersachsen hatte sich nach Bekanntwerden eines ersten Gesetzesentwurfs zur Krankenhausreform für eine Überarbeitung mehrerer zentraler Vorgaben starkgemacht. Dabei ging es zum Beispiel um die Anpassung der Vorgaben für Fachkrankenhäuser mit spezialisiertem Versorgungsauftrag, die Weiterentwicklung von Kinderkliniken zu Fachkrankenhäusern und die rückwirkende Anrechnung der Gelder aus dem Transformationsfonds.

Andreas Philippi (SPD), Gesundheitsminister Niedersachsen, spricht in der Landespressekonferenz.

Niedersachsens Gesundheitsminister Philippi (SPD) begrüßte den Beschluss, "auch wenn die Reform noch nicht perfekt ist".

Von der Decken: Kein gutes Signal für Krankenhausversorgung

In der Bundesratssitzung hatten mehrere Bundesländer unter anderem kritisiert, dass ihnen Kompetenzen bei der Krankenhausplanung vor Ort entzogen würden. Außerdem forderten sie eine Übergangsfinanzierung für angeschlagene Kliniken, bis die Reform wirkt. Die Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz, Schleswig-Holsteins Gesundheitsministerin Kerstin von der Decken, sagte: "Der Vermittlungsausschuss bietet eine Chance, höchstwahrscheinlich die letzte, um diese groben Fehler zu korrigieren."

Schleswig-Holstein enthielt sich dann aber bei der Abstimmung im Bundesrat, wie es bei unterschiedlichen Ansichten innerhalb einer Koalition auf Länderebene üblich ist. Anschließend teilte CDU-Politikerin von der Decken mit, sie bedauere zutiefst, "dass nicht mehr fachliche, sondern offenbar politische Erwägungen ausschlaggebend waren", den Vermittlungsausschuss nicht anzurufen. Sie sei überzeugt, "dass wir dort konstruktiv notwendige Verbesserungen hätten erzielen können". Sie wolle sich nun dafür einsetzen, "dass die Umsetzung des Gesetzes bestmöglich im Interesse der Versorgung gelingt und wir notwendige Verbesserungen mit einer nächsten Bundesregierung so schnell wie möglich erreichen können."

Schleswig-Holstein Justiz- und Gesundheitsministerin Kerstin von der Decken

SH-Gesundheitsministerin von der Decken (CDU) hätte gerne den Vermittlungsausschuss eingeschaltet.

FDP-Politiker Garg: SH-Regierung demontiert eigene Ministerin

Der gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Landtagsfraktion in Schleswig-Holstein, Heiner Garg, kritisierte die Stimmenthaltung seines Landes mit scharfen Worten: "Jetzt demontiert die Landesregierung auch noch ihre eigene Gesundheitsministerin." Anders könne man das Verhalten in der Länderkammer nicht verstehen. "Frau von der Decken hält eine engagierte Rede für die Anrufung des Vermittlungsausschusses und nur wenige Minuten später enthält sich Schleswig-Holstein. Das ist ein unfassbarer Vorgang." Offensichtlich habe der grüne Koalitionspartner in letzter Minute dafür gesorgt, dass sich die Ministerin mit ihrer Haltung nicht durchsetzen kann, so Garg. "Ihr so in den Rücken zu fallen, ist nicht nur fachlich falsch, politisch unverständlich, sondern auch menschlich mies."

SH-Grüne: Enthaltung war folgerichtig - CDU: Landesinteressen geopfert

Die Grünen in SH erklärten ihre Linie damit, dass sie befürchteten, dass die Bundes-CDU die Reform im Vermittlungsausschuss hätte scheitern lassen - die Enthaltung im Bundesrat sei deshalb folgerichtig. Der gesundheitspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Hauke Hansen, meinte hingegen, der Koalitionspartner habe "die Interessen unseres Landes aus rein parteipolitischen Gründen geopfert." Und auch Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) sagte: "Im Interesse unseres Landes wäre es geboten gewesen, den Vermittlungsausschuss anzurufen. Auch wenn unsere Stimmen am Ende keinen Unterschied gemacht hätten, bedauere ich, dass die Grünen bei uns im Land eine eigene Linie verfolgt haben und wir im Bundesrat nicht zustimmen konnten."

Für großen Wirbel sorgte die Krankenhausreform auch in Brandenburg. Dort warf Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) kurz vor der Abstimmung seine Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) aus der Landesregierung. Aus Protest kündigte Umweltminister Axel Vogel von den Grünen anschließend seinen Rücktritt an.

Krankenhausgesellschaften: Finanzierungsproblem bleibt ungelöst

Patrick Reimund von der Krankenhausgesellschaft SH bedauerte die Entscheidung des Bundesrates, dass es nicht zur Anrufung des Vermittlungsausschusses kommt. Das Reform-Gesetz sei in weiten Teilen "völlig verunglückt". In der nun beschlossenen Fassung werde es "das zentrale Problem der Unterfinanzierung kleiner ländlicher Krankenhäuser" nicht lösen. Er befürchte "einen weiteren Bürokratie-Schub mit dem System der Vorhalte-Finanzierung, das gewissermaßen ein zweites Fallpauschalensystem auf das bestehende noch obendrauf setzt", so Reimund.

Auch die Niedersächsische Krankenhausgesellschaft (NKG) äußerte sich enttäuscht über das Abstimmungsverhalten ihrer Landesregierung: "Niedersachsen hat trotz zahlreicher Warnungen ein nicht praxistaugliches Gesetz durchgewunken. Das ist erstaunlich, denn für die wirtschaftliche Schieflage der Kliniken sowie das zunehmende Risiko für Versorgungslücken muss am Ende das Land geradestehen," erklärte NKG-Verbandsdirektor Helge Engelke.

Kritik kommt auch von der Krankenhausgesellschaft Mecklenburg-Vorpommern. Geschäftsführer Uwe Borchmann sagte dem NDR, er befürchte, dass Kliniken im Nordosten in den kommenden zwei Jahren schließen müssten. Denn die Übergangsfinanzierung bis zur endgültigen Umsetzung des Gesetzes sei nicht geklärt. Die Mehrheit der Kliniken in MV schreibe schon jetzt rote Zahlen, das Geld reiche nicht mehr lange, so Borchmann.

Ministerpräsidentin Schwesig: Reform sichert alle Standorte in MV

Dem widersprach MV-Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD). Sie bezeichnete es als wichtig, dass die Reform jetzt kommt. Diese sichere alle Krankenhausstandorte in MV, die großen wie auch die kleinen Häuser. Auch würde die Qualität für die Patienten verbessert. Schwesig stellte Gespräche mit der nächsten Bundesregierung über Nachbesserungen an dem Gesetz in Aussicht.

Reformziele: Weniger Kliniken bei höherer Versorgungsqualität

Die Reform soll die Zahl von derzeit 1.900 Klinikstandorten in Deutschland deutlich reduzieren - bei höherer Qualität und zuverlässigerer Finanzierung. Wichtigstes Element ist ein neues Abrechnungssystem. Über die bisherigen Fallpauschalen hinaus soll es sogenannte Vorhaltepauschalen für bestimmte Leistungen geben. Die Leistungsgruppen hierfür sollen die Länder zuweisen. Diese Leistungsgruppen sind mit Qualitätskriterien und Mindestvorhaltezahlen versehen, um sicherzustellen, dass Kliniken ein bestimmtes Maß an technischer Ausstattung, Personal und Fachdisziplinen haben. In schlechter ausgestatteten Regionen soll es die Möglichkeit für sektorübergreifende Gesundheitszentren geben. Auch soll es extra Mittel für gewisse Fachbereiche wie etwa Geburtshilfe oder Intensivmedizin geben. Zur Finanzierung der Krankenhausreform ist ein Transformationsfonds von 50 Milliarden Euro geplant, den Bund und Länder stemmen sollen.

Dieses Thema im Programm:
NDR Info | Aktuell | 22.11.2024 | 16:40 Uhr