Blockflöten Kunath

Hessen Erfindung aus Fulda: Diese neue Blockflöte soll das Gehör schonen

Stand: 28.11.2024 21:01 Uhr

Blockflöten leiden wegen der mitunter hohen Töne unter einem schlechtem Image. Ein Hersteller aus Fulda hat eine tiefer klingende Tenorflöte erfunden. Mit dieser will er den Markt umkrempeln.

Von Jörn Perske

Musiklehrerinnen und -lehrer müssen mitunter leidensfähig sein. Wenn Neulinge zur Blockflöte greifen, entstehen schnell schiefe Töne. Toben sich gar Grundschulkinder im Anfänger-Stadium aus, kann es laut und anstrengend werden fürs Gehör.

Schonend für die Ohren: Tiefe Blockflöte aus Fulda

Musiklehrer Sylvio Stoll hat das gerade erst wieder erlebt: bei einem Ausflug mit seiner zweiten Klasse zu einem Flötenhersteller in Fulda. Um das Instrument kennenzulernen, durften sich die Kinder die Herstellung anschauen.

Stoll weiß natürlich um das Grundproblem der Blockflöte: "Der schrille Ton. Der geht auf die Ohren", sagt er mit einem zerknirschten Lächeln, nachdem die Kinder reichlich ausprobiert haben.

Tenor statt Sopran

Aber Abhilfe ist in Sicht. Der Fuldaer Instrumenten-Hersteller Kunath hat für den Lehrer und seine Klasse nämlich eine Neuheit parat: eine neue Blockflöte, die er mit seinem Team und der Expertise des Schweizer Blockflöten-Spezialisten und -Tüftlers Geri Bollinger erfunden hat.

Mit der Flöte wollen sie jetzt den Markt revolutionieren. Das Instrument klingt eine Oktave tiefer und somit wärmer. Tenor statt Sopran.

Kunath erklärt: "Von dem Sopran-Gepiepe hat die Blockflöte ihr schlechtes Image." Während hohe Töne das Ohr erschreckten, wirkten tiefe Töne beruhigend.

Auf die S-Form kommt es an

Auch Lehrer Stoll und die beiden Schülerinnen Huda Harun und Annemarie Otto überzeugt die wärmere Ton-Farbe bei der ersten Probe. Die Mädchen finden, dass die neue Flöte "schöner klingt". Sie sieht auch anders aus, größer und mit einem abgewinkelten Mundstück.

zwei Mädchen spielen zwei verschiedene Arten von Blockflöten und testen, welche besser klingt.

Vergleich von gewöhnlicher Sopran-Blockflöte und neuer Tenor-Blockflöte: Annemarie Otto (li.) mit einer gewöhnlichen Flöte und Huda Harun mit der neuen, tiefer klingenden Blockflöte machten beim Flötenhersteller Kunath den Test.

Der Abstand zu den Tonlöchern ist aber wie bei herkömmlichen Sopran-Flöten. Das liegt daran, dass die sieben Tonlöcher auf der Vorderseite s-förmig angebracht sind. So werden sie auch von Kinderhänden bequem erreicht.

Der tiefere Klang geht ebenfalls auf eine S-Form zurück: Im Inneren spielt eine entsprechend geschwungene Bohrung die tonangebende Rolle.

"Wie die Wilden gearbeitet"

Blockflöten mit solch einer Konstruktion gebe es bislang nicht. "Wir sind die ersten Hersteller damit", versichert Kunath. Die Wirkungsweise sei aber von anderen Instrumenten bekannt, etwa vom Blechblasinstrument Serpent oder vom Holzblasinstrument Rankett.

Tüftler Geri Bollinger und er hätten "sechs Monate wie die Wilden gearbeitet" und die Erfindung vor kurzem auf einer Musikmesse in London vorgestellt, sagt der Fuldaer Instrumentenbauer, der nach eigenen Angaben der drittgrößter Flötenhersteller in Deutschland ist.

Blockflöten Kunath

Musiklehrer Sylvio Stoll hatte einen ersten guten Eindruck von der neuen Flöten-Art.-

Auf der Messe hätten sie viel positives Feedback aus der Fachwelt bekommen, so Kunath. Seither habe er viele Bestellungen bekommen und erst mal neue Maschinen geordert. "Das habe ich noch nie erlebt, dass man bei einer Neuheit so mit Bestellungen überrannt wird."

Flöte könnte "Geburtsfehler" beheben

Mit der neuen Flöte könne ein Geburtsfehler der Sopran-Flöten behoben werden, sagt Kunath: der hohe, zuweilen nervtötende Klang. "Das Instrument ist auch eher für Solisten gedacht, die es beherrschen."

Er glaubt, seine Neuerfindung kann sich in den nächsten Jahrhezehnten am Markt durchsetzen. Auf der Messe sei man sogar noch optimistischer gewesen: Dort bekam Kunath zu hören, die neue Flöte könne die "Musik-Welt im Sturm erorbern".

Patent nicht möglich

Ein Patent darauf anzumelden, sei nicht möglich. Aber, eine Nummer kleiner, ein Gebrauchsmusterschutz. Das heißt: Eine Komposition aus mehreren bereits bekannten Dingen.

Den Namen seiner Flöte hat er sich aber schützen lassen. Sie heißt "Sigo": "Si" für das Italienische "Ja" und "go" fürs Englische "Los geht's!"

Blockflöten Kunath

Neu und alt im Vergleich: Eine neue Tenor-Blockflöte, wie sie Instrumenten-Hersteller Joachim Kunath kreiert hat und links in der Hand hält, und eine gewöhnliche Sopranflöte (re.), wie sie in Schulen als Standard-Instrument genutzt wird.

Experten freuen sich über Neuerung

Fachleute und Verbände bestätigen auf hr-Anfrage, dass es sich bei der erfundenen Flöte tatsächlich um eine Neuerung handelt. "Eine Flöte mit dieser Idee ist neu", sagt etwa Flöten-Dozent Johannes Fischer von der Akademie der Tonkunst in Darmstadt.

Er begrüßt die Innovation. Der Vorteil sei, dass die Flöten auch mit kleinen Händen zu greifen sei. Einen kleinen Kritikpunkt merkt er nach erster Hörprobe aber an: Die Intonation sei nicht perfekt. Der Ton sei etwas diffus und lasse Brillanz vermissen.

"Vielversprechende Idee"

Auch Sabine Runge vom Europäischen Flötenlehrer-Verband (ERTA) hält die Idee für vielversprechend. Sie habe zwar noch keine Sigo testen können und könne sich zur Praxistauglichkeit noch kein abschließendes Urteil erlauben.

Bisher sei aber keine Blockflöte so wie bei Sigo gebaut worden, sagt sie – und kein Prototypen anderer Flötenbauer habe es bisher zur Marktreife gebracht.

Aus dem 3D-Drucker

Eine Besonderheit ist auch die Produktion der neuen Flöten. Sie werden nicht aus Holz hergestellt und kommen entsprechend nicht aus der Drechselmaschine. Stattdessen werden sie im 3D-Drucker produziert. Sechs davon stehen bei Instrumentenbauer Kunath.

"Die Maschinen funktionieren wie eine Heißklebe-Pistole mit einem Computer dahinter", erklärt er laienverständlich.

Nachwachsende Rohstoffe als Grundlage

Hergestellt werden die Flöten aus nachwachsenden Rohstoffen. Geschredderte Holzspäne werden mit modifizierter Pflanzenstärke kombiniert. Der daraus entstehende Werkstoff heißt Resona.

Auf Spulen aufgedrehte Fäden füttern die 3D-Drucker; ein Drucker schafft pro Tag eine Flöte. Sie koste in etwa so soviel wie eine hochwertige Holzflöte aus deutschen Manufakturen, sagt Kunath.

Hessens Schulen sollen Flöten populärer machen

Der Instrumentenbauer hofft, dass das Flötespielen bald wieder populärer wird. Das will auch das Hessische Kultusministerium erreichen, wenn auch mit anderen Mitteln.

Es führte zu Beginn des Schuljahres im Sommer ein Pilotprojekt zum Blockflöten-Unterricht an Schulen ein. Rund 20 Schulen hessenweit wurden ausgewählt, sich zu beteiligen. Das Projekt lief nach erster Rückmeldung einiger Schulen eher schleppend an.

Für Musiklehrer Sylvio Stoll ist das Flötespielen dagegen lange gelebte Praxis: Er unterrichtet das Einsteiger-Instrument seit vielen Jahren. Mit der Erfindung aus der Fuldaer Flöten-Manufaktur könnten auch seine Nerven bald geschont werden.